Der nächste Tag fing ganz normal an. Jedenfalls für Lou. Finneas war bereits wach, als sie die Augen aufschlug und starrte sie durchdringend an, aber inzwischen störte sie das nicht mehr weiter. Tatsächlich war es erstaunlich, wie schnell sie sich an das kleine Vogel-Pokémon gewöhnt hatte. Die Nachrichten brachten auch an diesem Morgen keine neuen Erkenntnisse und nach allem, was passiert war, war Lou doch dankbar dafür. Es war Holly, die sich nach dem Frühstück als erste entschuldigte. Ihre Begleiterin wollte den Tag nutzen und noch etwas trainieren und das nicht nur, weil ihr Arenakampf am nächsten Tag anstand, sondern auch, um den Tag sinnvoll zu füllen. Lou hegte zudem den Verdacht, dass Holly auch Zeit mit dem Toxiped verbringen wollte, zumindest unbewusst. Sie selbst nutzte den Vormittag, um sich um Caleb zu kümmern, denn immerhin hatte das Sesokitz heute seinen großen Tag und Lou wollte nicht, dass Caleb zu übermütig wurde und womöglich über das Ziel hinausschoss. Zur Sicherheit las sie sich auch noch einmal das Infomaterial durch, aber das beinhaltete natürlich nichts Neues. Als die Gruppe schließlich das Mittagessen beendet hatte und nur noch wenige Stunden bis zum Wettbewerb blieben, konnte auch Lou sich nicht mehr einreden, dass alles in Ordnung war. Sie war aufgeregt und das nicht zu knapp. Unruhig lief sie durch ihr Zimmer und sogar durch den Gang der Etage, kontrollierte mehrfach, ob es Caleb gut ging oder ob ihre Kleidung und ihr ganzes Erscheinungsbild ordentlich war, ehe sie dazu überging, durch die Fernsehprogramme zu schalten, nur um das Gerät nach wenigen Minuten wieder abzustellen.
Finneas:
Finneas fand das Benehmen seiner Trainerin anstrengend. Sie war sonst schon immer so... wirbelig, aber heute war es ganz besonders schlimm. Sie lief hin und her, redete mit sich oder mit Caleb oder auch mit ihm, lief dann weiter, lief dann raus, suchte etwas und dann wieder von vorn. Das Natu plusterte sich protestierend auf, aber Lou tätschelte ihn nur kurz und machte dann weiter wie bisher. Finneas hatte genug. Er wusste, dass in dem anderen Zimmer der Mann mit dem bösen Mauzi war, aber das Mauzi war vieleicht nicht draußen und der Mann war wenigstens ruhiger. Seiner Meinung nach war es einen Versuch wert und so teleportierte sich das kleine Vogelpokémon kurzerhand in das Nachbarzimmer.
Ethan war damit beschäftigt, Nofretetes Wunsch nach Aufmerksamkeit nachzukommen, immerhin verlangte das Mauzi durchaus regelmäßig danach, mit der besonderen Mauzi-Bürste gebürstet zu werden. Um zu viele Haare in seinem Zimmer zu verhindern, hatte sich Ethan mit Nofretete auf den Balkon begeben und bürstete dort das schnurrende Mauzi - zumindest solange, bis es abrupt aufsprang und in das Zimmer eilte. Ethan drehte sich um und sah im gleichen Moment Finneas, der das auf ihn zu pirschende Mauzi noch nicht bemerkt zu haben schien. "Nofretete!", rief Ethan dem Mauzi zu, das daraufhin tatsächlich in der Bewegung innehielt und halb geduckt inne. "Wenn du auch in Zukunft deine Streicheleinheiten willst, solltest du das bleiben lassen." Das Mauzi warf ihm einen vernichtenden Blick zu, drehte sich anschließend um und begann damit, sich zu putzen. Ethan seufzte schwer, betrat ebenfalls das Zimmer und legte die Bürste beiseite, bevor er das Natu musterte. "Wie darf ich deine Anwesenheit verstehen?", fragte er das Pokémon, ohne eine ernsthafte Antwort zu erwarten.
Finneas sah im Zimmer zunächst niemanden, aber kurze Zeit später hörte er die Stimme des Mannes. Leider war das Mauzi auch da und das gefiel dem Natu eigentlich gar nicht. Allerdings klang es so, als ermahnte er das Katzenpokémon und das war durchaus in Ordnung. Als der Mann sich ihm zuwandte, plusterte Finneas sich auf und gab einige Piepslaute von sich, wobei er zu der Wand sah, die das Zimmer des Mannes von dem seiner Trainerin trennte. Das Natu hoffte einfach, dass er verstand, dass er einfach ein wenig Ruhe brauchte. Normalerweise war es toll, wenn Leute oder Pokémon sich ärgern ließen, aber gerade ärgerte Lou ihn und das war gar nicht toll.
Ethan hatte nicht die leiseste Ahnung, was ihm das Natu sagen wollte, aber zumindest der Blick in Richtung Lous Zimmer sagte ihm, dass das Auftauchen des Natu mit Lou zu tun haben musste. Da er Finneas nicht mit Nofretete alleine lassen wollte, rief er die beleidigte Nofretete in ihren Pokéball zurück und verließ anschließend sein Zimmer, um den kurzen Weg zu Lous Tür zurückzulegen und anzuklopfen.
Lou hatte gerade erst den Fernsehr wieder angemacht und war dazu übergegangen, sich ein weiteres Mal zu vergewissern, dass es Caleb gut ging. Das Sesokitz folgte ihr zum Teil durch das Zimmer und zu dem anderen Teil blieb es einfach stehen und beobachtete Lou kritisch. Als es schließlich an der Tür klopfte, erschrak sich das Mädchen so sehr, dass es beinahe über Caleb fiel und sich dabei am Bett stieß. Humpelnd schleppte sich Lou zu ihrer Zimmertür und öffnete diese, obwohl ihr Fuß noch immer schmerzte und sie sich sicher war, dass man ihr das auch ansah. "Hi Ethan", meinte sie zu dem jungen Mann. "Was gibt es?"
Ethan musterte Lou einen Moment lang skeptisch, weil sie aus irgendeinem Grund das Gesicht verzog, aber er verzichtete darauf, nachzufragen. Zumindest würde er das nicht derartig direkt tun. "Finneas ist gerade bei mir aufgetaucht", merkte er an, während er bemerkte, dass Caleb neben Lou stand. "Gibt es dafür irgendeinen besonderen Grund?"
Lou sah Ethan irritiert an, ehe sie den Kopf schüttelte. "Ich wüsste keinen, außer dass es wieder einer seiner Streiche ist. Falls er Ärger gemacht hat, tut es mir leid. Ich ruf ihn am besten ohnehin in seinen Ball zurück. Ich bin mit meinen Gedanken schon bei dem Wettbewerb nachher und das zehrt doch ganz schön an meinen Nerven", meinte das Mädchen, ehe es kurz seufzte und sich durch das Haar fuhr. "Entschuldige bitte, dass Finneas einfach bei dir aufgetaucht ist. Ich werde ihm nichtsdestotrotz nochmal sagen, dass er das nicht tun soll."
"Er macht keinen Ärger, er wirkt eher beleidigt, wenn du mich fragst", erwiderte Ethan mit einem Schulterzucken und musterte Lou auch weiterhin durchaus skeptisch. Sie wirkte auf ihn nervös, wenn nicht sogar regelrecht gestresst. Die einzige plausible Erklärung dafür war der anstehende Wettbewerb, aber eigentlich hatte sie bisher relativ entspannt gewirkt. "Ist alles okay bei dir?"
Lou seufzte abermals. "Vermutlich ist er beleidigt, weil ich ihm heute nur so wenig Aufmerksamkeit schenke. Danke für den Hinweis... Ich achte drauf, dass er dann auch wieder mehr Zuwendung bekommt", versprach das Mädchen. Bei Ethans Frage allerdings, kam Lou nicht umhin, doch einmal kurz zu seufzen. "Ja, alles okay. Alles okay", versicherte sie dem jungen Mann. "Ich... ich werd nur langsam ein wenig nervös. Immerhin ist ja nicht mehr viel Zeit und das macht mich ein bisschen fertig. Allerdings vermute ich, dass das wie in der Abschlussprüfung sein wird. Da war ich auch erst ganz zittrig, aber als es dann doch losging, lief es doch."
Ethan war sich nicht sicher, was er von Lous Antwort halten sollte. Einerseits schien sie der Meinung zu sein, dass sie das Ganze im Griff hatte, aber andererseits saß ein beleidigtes Natu in seinem Zimmer. Und hinzu kam, dass er ihr nicht unbedingt glaubte, dass wirklich alles okay war. Die Frage war, was er jetzt tun sollte, immerhin wollte er nicht zu aufdringlich sein. "Und was hast du jetzt in den nächsten", begann er und sah kurz auf die Uhr, "zwei Stunden vor?"
"Ich...", begann Lou, stockte dann aber kurz, um nachzudenken. "Ich hab bisher geguckt, dass es Caleb gut geht, dass ich alles vorbereitet habe, dann hab ich versucht, mich abzulenken. Es geht nicht wirklich voran, weil ich die Dinge im Moment eher versuche, gleichzeitig zu machen." Das Mädchen hob entschuldigend die Schultern. "Das kommt von der Aufregung. Also dass meine Gedanken ein bisschen springen. Aber wie gesagt, das gibt sich, sobald es erstmal richtig losgeht."
Lous Dauermonolog überrschte Ethan durchaus, zeigte ihm allerdings, dass sie definitiv nervös sein musste. Normalerweise verhielt sie sich nicht so. Ethan warf einen betont deutlichen Blick zu dem Sesokitz. "Für mich sieht es so aus, als ob es Caleb gut geht", erwiderte er dann und sah wieder zu Lou. "Und du siehst so aus, als ob du eigentlich jetzt schon aufbrechen könntest." Er schüttelte halb irritiert, halb belustigt den Kopf. "Was genau musst du also noch tun?"
"Was genau?", wiederholte Lou und sah Ethan ein wenig überrumpelt an. Natürlich ging es Caleb gut, immerhin hatte sie aufgepasst, dass es so war und sie hoffte durchaus, dass sie alles hatte, denn immerhin durfte sie ein paar bestimmte Dinge einfach nicht vergessen. "Ich... Also eigentlich... Ich muss nochmal alles kontrollieren." Wie sonst sollte sie sicher gehen, dass alles auch seine Ordnung hatte? "Am besten doppelt. Einfach zur Sicherheit, weißt du?"
Lou wirkte zwar verwirrt und schien über ihre eigene Hektik zu stolpern, aber im Endeffekt begann sie doch wieder, sinnlose Dinge vorzuschieben. Irgendwie vermutete Ethan, dass er mit Logik hier nicht weiterkam. Vielleicht war es die bessere Alternative, Lou irgendwie abzulenken - die Frage aller Fragen war, wie er das anstellen sollte. "Das klingt nach einer Menge Arbeit", merkte er an und setzte eine nachdenkliche Miene auf. "Ich dachte, du hättest noch etwas Zeit übrig, um mir zu helfen." Es war ihm zwar unangenehm, aber er sprach trotzdem weiter. "Ich habe mir den Vorschlag mit deiner Liste noch einmal überlegt und gestern eine angefangen. Allerdings bin ich mir nicht sicher, ob nicht doch noch irgendetwas fehlt."