"Die meisten Universitäten sind teuer und ich kann dir garantieren, dass mir mein Vater kein Geld geben würde, wenn ich etwas in dieser Richtung versuchen würde", erwiderte Ethan mit einem Kopfschütteln. "Vermutlich würde er auch dafür Sorge tragen, dass meine eigenen Aktienfonds wieder auf ihn umgeschrieben werden." Ethan schnaubte. "Und mal ganz abgesehen davon wüsste ich nicht einmal, was ich machen sollte. Dementsprechend habe ich ehrlicherweise keine ernsthafte Alternative."
"Im Moment nicht. Aber haben wir nicht gerade erst festgestellt, dass du noch dabei bist Erfahrungen zu sammeln?", erwiderte Lou. "Das heißt, dass du bestimmt irgendetwas findest, was dir gefällt und was eine gute Alternative ist. Und dann kann dein Vater gar nichts tun außer sich zu ärgern, dass er sich nicht mit seinem Sohn beschäftigt hat. Klar wird das für dich wahrscheinlich nicht einfach, aber bisher hast du nicht so gewirkt, als ob du wirklich etwas zu Hause vermissen würdest... Entschuldige bitte, falls die Bemerkung gerade zu dreist gewesen sein sollte." Trotzdem war Lou der Meinung, dass Ethan zu Hause nicht glücklich werden konnte. Jedenfalls nicht, wenn alles so blieb wie bisher.
Ethan schwieg einen Moment lang, weil er sich nicht sicher war, was er überhaupt zu diesem Thema sagen sollte. "Die Bemerkung war nicht zu dreist", erwiderte er dann, um Lou nicht durch ein zu langes Schweigen zu verunsichern. "Ich weiß, dass ich Erfahrungen sammle, aber ich bezweifle, dass ich dabei zufällig meinen Traumberuf finde." Er schnaubte. "Und vor allem einen machbaren Traumberuf. Ich meine, der Arenakampf zum Beispiel hat mir Spaß gemacht, aber ich weiß auch, dass es absurd ist, professioneller Trainer werden zu wollen. Vermutlich bleibt es im Endeffekt bei den Aktien."
"Und wie willst du sonst rausfinden, was du machen willst?", fragte Lou dem jungen Mann. "Ich meine... Wenn du mit der Zeit merkst, dass die Aktien gar nicht so schlecht sind, dann ist das auch nicht verkehrt. Wenn es so ist, wirst du dich zumindest nicht fragen müssen, ob es wirklich das ist, was du willst, oder ob es etwas anderes gegeben hätte." In Lous Augen war das auch eine akzeptable Möglichkeit, denn so lange Ethan es so wollte und zwar nicht aus Zwang, war das in Ordnung. "In dem Punkt möchte ich dir allerdings widersprechen", meinte das Mädchen, als Ethan eine Trainerkarriere abtat. "Wieso sollte es absurd sein? Dass es möglich ist, beweist die Tatsache, dass wir eine funktionierende Liga haben. Und dort haben wir einen Champion, der aus ähnlichen Verhältnissen wie du kommt. Und dass du Talent hast, hast du bereits sehr eindeutig bewiesen, wenn ich dich erinnern darf. Immerhin warst du derjenige, der eine persönliche Einladung zu einem Kampf von Conchua bekommen hat. Und du hast diesen Kampf auch noch gewonnen und das nicht gerade so, sondern sehr eindrucksvoll. Ich muss, glaub ich, nicht betonen, dass Conchua den Ruf hat, eine der am schwersten zu besiegenden Arenaleiter zu sein. Und du hast beim ersten Versuch gewonnen. Also Talent hast du und allein deshalb ist die Vorstellung nicht absurd. Die Frage ist, ob du rausfinden willst, wie weit du kommen kannst."
Ethan bezweifelte, dass wirklich jeder die Möglichkeit hatte, alles auszuprobieren oder zu machen, was Spaß machte. Das war utopisch, aber selbst ihm kam es zu negativ vor, das so direkt auszusprechen. "Ja, wir haben eine Liga, aber wir haben nur eine Handvoll Trainer, die ernsthaft davon leben können, was sie tun", wandte Ethan stattdessen ein. "Und die Wahrscheinlichkeit, es dorthin zu schaffen, ist verschwindend gering." Die Argumentation bezüglich des Arenakampfes ließ er unter den Tisch fallen. "Solange ich jezt die Gelegenheit habe, kann ich es ausprobieren, dagegen spricht nichts. Und vielleicht kann ich als Hobby das eine oder andere Turnier besuchen, wenn die Freiwilligen-Sache vorbei ist. Das wäre zumindest mehr, als ich bisher hatte."
Es machte ihm Spaß, auch wenn Ethan es nicht so direkt zugab. Und eigentlich wollte er es nicht aufgeben, zumindest klang es für Lou gerade so. "Das wäre sogar sehr viel mehr, oder?", meinte das Mädchen. "Und im Endeffekt ist eine erfolgreiche Teilnahme doch ein Beweis dafür, dass dein Unterricht nicht umsonst war, oder? Wobei ich durchaus finde, dass der Sieg über Conchua eigentlich Beweis genug ist. Und ich wette, dass dein Lehrer das deinem Vater auch bestätigen würde. Als Lehrer ist es immerhin sein Job, darüber informiert zu sein, wie stark solche offiziellen Gegner sind." Lou hatte Ethan ihren Blick zugewand, auch wenn sie nicht viel erkennen konnte. Sie wollte dennoch wissen, wie er reagierte, vor allem nachdem sie das Thema Conchua wieder aufgenommen hatte, nachdem Ethan es unter den Tisch hatte fallen lassen.
"Es wäre sozusagen mein erstes, selbst gewähltes Hobby", kommentierte Ethan halb amüsiert, halb bitter. "Dass mein Lehrer irgendwas bestätigen würde, bezweifle ich allerdings. Er sagt meinem Vater das, was der hören will. Und mal ganz unabhängig davon ist er sehr auf Theorie bedacht. Ich weiß nicht, ob er sich jemals selbst mit den Arenleitern befasst hat, weiß ich nicht, allerdings hat er auf Corrians Bücher gesetzt, weil sie wohl strategisch recht hochwertig sind." Er bemerkte, dass Lou ihn zu beobachten schien. "Jedenfalls kann ich mich nicht darüber beschweren, wenn am Ende von alldem sowas wie ein Hobby das Ergebnis ist."
"Und ich hab gedacht, dass ich den furchtbarsten Lehrer überhaupt gehabt habe. Aber deiner klingt wie eine eingestaubte Mumie oder sowas. Also total veraltet", meinte Lou kopfschüttelnd. "Ich würde vorschlagen, dass du ihn in einem Kampf strategisch auseinandernimmst. Dann muss er sich was überlegen, wenn er seinen Job behalten will. Vielleicht wird es dann interessanter." Es folgte ein weiteres Kopfschütteln und ein Seufzen. Das Mädchen wusste, dass es nicht so einfach sein würde. "Ich würde aber gerne Beschwerde einreichen", meinte Lou auf Ethans letzte Aussage hin. "Mir fehlt die Lücke in deinem Wochenplan, wo du Zeit für Besuch hast."
"Interessant war es durchaus, die Theorie kann letztlich auch helfen", merkte Ethan an und hob die Schultern. "Allerdings war es stellenweise sehr viel Theorie und sehr wenig Praxis." Er seufzte. "Jedenfalls dürfte er nicht der richtige Ansprechpartner sein, sämtliche Kämpfe sind letztlich auch nur Übungskämpfe." Er winkte ab und sah Lou anschließend skeptisch an, als sie eine Lücke für Besucher forderte. Der Anflug eines Lächelns trat auf Ethans Gesicht. "Die lässt sich bestimmt finden", erwiderte er und fügte amüsiert hinzu: "Notfalls nachts um elf, das scheint ja recht gut zu funktionieren."
"Also doch trocken und verstaubt", schlussfolgerte Lou aus Ethans Erklärung. "Und ich hab gedacht, dass mein Geschichtslehrer übel gewesen ist. Der hat es hingekriegt selbst interessante Themen langweilig rüberzubringen." Was vermutlich im Endeffekt erklärte, warum sie das meiste auch wieder vergessen hatte. "Aber ist das nicht blöd? Immerhin sind Pokémonkämpfe doch eigentlich sehr praxisbezogen, oder? Muss ich mir die Übungskämpfe dann auch anders vorstellen? Also ich meine im Vergleich zu denen, die wir bisher gemacht haben", wollte das Mädchen gerne wissen. Nachdem was Ethan erzählt hatte, wäre es nicht einmal wirklich überraschend. Als Ethan allerdings vorschlug, sich weiterhin nachts um elf zu treffen, konnte Lou nicht anders als kurz zu lachen. "Darf ich dann noch klingeln oder muss ich Finneas beibringen, mich mit Teleport reinzubringen?", wollte sie von ihm wissen. "Allerdings wage ich zu behaupten, dass diese Uhrzeit ein klizekleines bisschen gewagt ist."
"Na ja, im Endeffekt waren es Trainingskämpfe und nach allen paar Angriffen wurde pausiert, um zu analysieren, ob sie sinnvoll waren, was man verändern könnte, wie man auf bestimmte Attacken reagieren kann...", erklärte Ethan und runzelte dabei die Stirn. "Die Liste lässt sich übrigens beliebig erweitern. Und was Langeweile angeht... ja, durchaus. Aber in einem etwas weniger ausführlichen Rahmen hat es vermutlich sogar Sinn." Als Lou auf den Scherz einging und Finneas' Teleport vorschlug, lachte Ethan. "Das ist eine hervorragende Idee", bemerkte er dann noch immer amüsiert. "Und wenn Finneas dich reinschmuggelt, ist es auch nicht mehr gewagt."
"Bestimmte Sachen durchzusprechen, find ich auch gut", meinte Lou. "Aber nur sowas zu machen oder zumindest hauptsächlich, find ich dann doch eher langweilig... Und das sag ich, obwohl ich kein großer Fan von Kämpfen bin." Natürlich war es schön, wenn Pokémon nichts passierte, aber Lou wusste, dass das trotzdem nicht der Sinn von Kampftraining war. Als Ethan letztlich wegen ihrer Bemerkung lachte, klopfte Lou sich mental ein wenig auf die Schulter. Es freute sie, dass das zumindest funktioniert hatte. "Aber sind wir dann nicht auf dein Zimmer beschränkt?", wollte sie von dem jungen Mann wissen. "Und findest du nicht, dass es ein sehr, sehr, sehr falsches Bild vermittelt, wenn du so spät noch heimlichen Besuch hast? Also natürlich nur für den Fall, dass es doch einmal auffallen sollte." Lou grinste, allerdings musste sie zugeben, dass sie nicht ganz sicher war, ob Ethan wusste, was er eigentlich gerade angedeutet hatte. Sie selbst war jedenfalls froh, dass sie in dieser Hinsicht vorhin schon miteinander gesprochen hatten.
"Ich habe bisher gedacht, es ist sinnvoll, aber während des Arenakampfes habe ich gemerkt, dass man in einem echten Kampf eben nicht die Zeit hat, sich jeden Angriff vorher zu überlegen", erwiderte er nachdenklich. "Die Erfahrung spielt eine große Rolle und vermutlich auch Intuition. Aber ich bin trotzdem froh, das Theoriewissen zu haben." Als Lou das alberne, aber unterhaltsame Gedankenspiel fortsetzte, schnaubte Ethan amüsiert. "Theoretisch könnte dich Finneas natürlich jederzeit wieder weg teleportieren, die Wahrscheinlichkeit entdeckt zu werden liegt also gewissermaßen bei Null", antwortete er betont ernst, bemerkte aber selbst, dass man die Belustigung aus seiner Stimme heraus hörte. "Aber ich fürchte, im schlimmsten Fall müsstest du das Risiko derartiger Gerüchte in Kauf nehmen, falls sich kein unverfänglicherer Termin finden lässt."
"Ich muss ja zugeben, dass ich meine ersten richtigen Kämpfe mit dir und den anderen hatte", meinte Lou und hob die Schultern. "Mich macht der Gedanke, in einem richtig ernsthaften Kampf, bei dem es auch um was geht, anzutreten, verdammt nervös. Aber ich hab es Caleb versprochen... Allzu lange sollte ich das also auch nicht mehr aufschieben." Lou glaubte nicht, dass Caleb ihr böse sein würde, allerdings konnte sie das nur schwer mit ihrem Gewissen vereinbaren. Ethan versuchte zwar, das Besuchsthema ernst klingen zu lassen, allerdings scheiterte er eindeutig, sodass Lou nicht anders konnte, als ebenfalls zu lachen. Die Gedanken, die sie hatten, waren aber auch wirklich abwegig. Allerdings schien Ethan doch sehr genau zu wissen, wie zweideutig das Ganze war. Lou war jedenfalls froh, dass er das mit Humor nahm, denn so gab es keinen Grund, es nicht auch so zu handhaben. "Ich muss also mit den Gerüchten leben, dass ich nur deine Affäre für die Nacht bin? Ich glaub, damit komm ich klar. Vergiss nur nicht, mir zu erklären, wo dein Zimmer ist", konterte das Mädchen.
"Meine Affäre für die Nacht?", wiederholte Ethan amüsiert und schnaubte. "Das klingt so unbedeutend und vor allem so, als wäre es deutlich weniger wert als eine Freundschaft." Er schüttelte den Kopf und fuhr - mit mäßigem Erfolg - ernst fort. "Es muss eine andere Lösung geben." Ethan machte eine Pause, als müsste er ernsthaft darüber nachdenken. Das Thema war definitiv unterhaltsam. "Wenn eine Affäre für die Nacht öfter vorbeikommt, ist es dann noch eine Affäre für die Nacht?"