Jakob umrundete mit den anderen das Haus. Ethan hatte seinen Vorschlag zwar in die Tat umgesetzt, aber auch keinen weiteren Kommentar dazu abgegeben und das ärgerte ihn. Hinter dem Haus gab es tatsächlich einen Hintereingang und auch dieser hatte ein Band, das ihn eher interessanter als abschreckender machte. Derweil unterhielten sich die beiden Frauen lautstark, während das Nachtara versuchte, zu lauschen. Er wollte gerade einen diesbezüglichen Kommentar Holly an den Kopf werfen, als Lou sie darauf hinwies, weiterzugehen. Natürlich war es Lou, die darauf kam, dass man sich hier nicht so ohne weiteres unterhalten konnte. "Ja, gehen wir", stimmte er der attraktiven jungen Frau zu und wandte sich ab. Bisher waren ihm auch leider keine guten Versteckmöglichkeiten aufgefallen.
Ethan nickte kurz, als Lou vorschlug, die Runde um das Gebäude zu beenden. Als er sich allerdings in Bewegung setzte, hielt das Nachtara einen kurzen Moment lang inne, bevor es schließlich doch mitkam. Sofort ertappte sich Ethan dabei, wie er prüfend die Umgebung musterte und sich dann wieder auf das Nachtara konzentrierte, dessen Ohren sich mittlerweile nicht mehr bewegten, sondern in einer irgendwie abweisend wirkenden Geste leicht angelegt waren. Das Ganze missfiel ihm.
Auch Lou fiel auf, dass das Nachtara nun eher abweisend wirkte, statt aufmerksam. Das war kein gutes Zeichen, überhaupt nicht. "Ich denke, wir sollten zusehen, dass wir hier wegkommen", meinte das Mädchen. Sicher war immerhin sicher. "Klingt gut", erwiderte Holly und ließ ihren Blick kurz schweifen. Es schien alles ruhig zu sein, aber die anderen waren irgendwie beunruhigt und auch wenn sie selber das nicht teilte, würde sie nicht dagegen argumentieren. Sie hatten immerhin abgesprochen, kein Risiko einzugehen.
Jakob blickte zu dem Nachtara und bemerkte, dass es anders war. Es war nicht mehr ruhig und gelassen, sondern wirkte abweisend. Ein kurzer Blick zu den anderen zeigte, dass Ethan es ebenfalls bemerkt hatte und Lou wollte auch hier weg. Jakob bekam ein ungutes Gefühl und ein kurzer Schauer lief ihm den Rücken herunter. "Ja, gehen wir erstmal wieder", meinte Jakob dann, während er sich umblickte.
Während Ethan mit dem Gedanken spielte, einen anderen Weg zu nehmen, um von hier zu verschwinden, setzte das Nachtara seinen Weg unbeirrt fort und blieb schließlich reglos an der Ecke der Lagerhalle stehen, von wo aus man den vorderen Bereich einsehen konnte. Ethan biss die Zähne aufeinander und trat zu dem Unlicht-Pokémon, das damit beschäftigt war, einen Mann niederzustarren, der vor der Lagerhalle stand. Ethan war sich nicht sicher, von wo er gekommen war, vielleicht war es ein einfacher Passant, vielleicht war er aus der Halle gekommen. In jedem Fall aber schien der Mann das Nachtara durchaus interessiert zu mustern. Ethan war sich nicht sicher, was er davon halten sollte, denn der Mann an sich wirkte eigentlich nicht unbedingt bedrohlich. Er hatte ein doch eher legeres, aber zumindest qualitativ hochwertiges, schwarzes Hemd an, seine langen, schwarzen Haare waren zu einem Zopf zurückgebunden und Ethan ging davon aus, dass der Mann trotz einer nahezu waagerechten Narbe auf der rechten Wange nach geltenden Standards als gutaussehend zu bezeichnen war.
Das Nachtara blieb stehen und für einen winzigen Augenblick war Lou verwirrt, aber dann bemerkte auch sie den jungen Mann. Er sah wirklich gut aus und war auch dazu passend gekleidet, aber gerade das war der Grund, warum sich das Mädchen fragte, was jemand wie er an so einem Ort suchte. Woanders hätte sie vielleicht sogar mehr versucht, aber hier zog sie es vor, einfach zu verschwinden. Auch Holly stockte einen Moment, war aber eher irritiert, dass das Nachtara wegen einer Person stehen blieb. Auch sie musterte den Mann kurz, fand aber nicht, dass er besonders auffällig war. "Hey, alles okay?", fragte die junge Farmerin also an das Pokemon gewandt. "Wir wollten weiter."
Jakob bemerkte, wie das Nachtara stehen blieb. Als er sich im Anschluss umsah, bemerkte auch er den fremden Mann. Irgendetwas passte Jakob nicht. Er war sich sicher, dass dieser Mann hier nicht hergehörte. Ein weiterer Blick zu dem Nachtara zeigte, dass dieses den Mann regelrecht niederstarrte. Dann blickte er zu dem Lagerhaus. Wenn das wirklich ein Typ von der Organisation war, waren sie gerade in großen Schwierigkeiten. Jakob versuchte sein bestes Lächeln aufzusetzen und blickte dann kurz zu Holly. "Ja... mir wäre es im Moment auch lieber..."
"Welch eine nette Begrüßung, Kaisa", kommentierte der Mann derweil eindeutig an das Nachtara gewandt. Die Antwort des Nachtara bestand aus einem leisen, mahnenden Fauchen, das Ethan nicht gefiel. Gut, offensichtlich schien der Mann das Nachtara zu kennen. Aus irgendeinem nicht nachvollziehbaren Grund. Tatsächlich hatte er sogar einen Spitznamen verwendet. Aber das Nachtara wirkte nicht glücklich darüber, ihn zu sehen und das wiederum... war vermutlich kein gutes Zeichen. Schließlich hob der Mann den Blick von dem Nachtara und sah zu Ethan und den anderen. "Wie kommt es, dass ihr mit diesem Nachtara unterwegs seid?"
Die Situation wurde von Moment zu Moment unangenehmer und Lou wusste nicht, was sie jetzt tun sollten. Der Kerl hatte das Nachtara erkannt, was bedeutete, dass er Kate kannte und da das Nachtara nicht gut auf den Fremden zu sprechen war, lag der Schluss nahe, dass das auch für Kate galt. "Warum sollten wir dir antworten?", erwiderte Holly dem Mann. Sie achtete sogar bewusst darauf, zunächst einen neutralen Tonfall beizubehalten. Immerhin konnte keiner von ihnen den Kerl einschätzen. Außer dem Nachtara vielleicht und auf diese Einschätzung wollte sich die junge Farmerin dann doch nicht verlassen.
Jakob starrte den Mann kurz an. Er hatte das Nachtara bei einem Spitznamen genannt und da Kates Nachtara auf diesen reagiert hatte, bedeutete das, dass er den Namen kannte. Niemand kannte die Namen von Kates Pokémon, aber wenn die Organisation wusste, wer Kate war, dann war es auch nicht auszuschließen, dass sie auch die Namen der Pokémon kannten. Aber dieser Mann war anders. Jakob merkte, dass er das Nachtara kannte. Er warf erst noch einen kurzen Blick zu Holly und schaute dann den Mann an. "Wer will das eigentlich wissen?", fragte er in einem leicht herausforderndem Tonfall.
Ein nahezu amüsiertes Lächeln trat auf das Gesicht des Mannes. "Ihr seid in Begleitung eines Pokémon, das nicht eures ist und startet ein Verhör mit mir?", hakte der Mann dann nach und hob die Schultern, wobei ein herausforderndes Lächeln auf seinem Gesicht blieb. "Mein Name ist Riccardo." Er verschränkte die Arme vor der Brust. "Und ich wüsste immer noch gerne, warum ihr mit Kates Nachtara unterwegs seid."
Als der Mann, der sich als Riccardo vorstellte, auch noch lächelte, kam Lou nicht umhin, ein weiteres Mal zu bedauern, dass die Situation so schwierig war. Sie behielt ihn zwar im Auge, allerdings aus einem anderen Grund, als sie es gerne getan hätte. Immerhin standen sie noch immer vor dem Lagerhaus, das der Organsiation gehörte. "Dich vorzustellen, ist kein Grund, warum wir dir irgendwas verraten sollten", erwiderte Holly, noch immer um ihre Tonfall bemüht, auch wenn sie sich fragte, warum sie das tat, denn Jakob war eindeutig darauf aus, diesen Riccardo zu provozieren. Großartig.
Am Liebsten hätte Jakob jetzt begonnen, laut loszufluchen, denn seine Vermutung, dass Riccardo ganz genau wusste, mit wessen Pokémon sie unterwegs waren, hatte sich als richtig herausgestellt. Immerhin stellte er sich vor, also schluckte Jakob seine schlechte Laune herunter. Er nickte dann zu dem Mann, der sich als Riccardo vorgestellt hatte. "Meine Begleiterin hat recht. Du kannst dir aber sicher sein, dass hier alles seine Richtigkeit hat. Wenn du es unbedingt wissen willst, kannst du ja auch gerne Kate selbst fragen."
Riccardos Belustigung schien zuzunehmen. "Ich bin nicht davon ausgegangen, dass ihr das Nachtara gestohlen habt", merkte er dann an. "Das dürfte denkbar schwierig sein." "Und warum spielt es dann eine Rolle, dass wir mit ihm unterwegs sind?", hakte Ethan nach. Ihm gefiel die Situation nicht, was vermutlich an der wachsamen, abweisenden Körperhaltung des Nachtara lag. "Weil ich mir nicht erklären kann, was sie mit euch zu tun hat", antwortete Riccardo mit einem Anflug von Arroganz in der Stimme. "Aber da wir uns ohnehin schon so wundervoll unterhalten, können wir das Gespräch auch an einem angemesseneren Ort fortsetzen."
"Warum genau sollte es uns interessieren, ob du dir irgendwas erklären kannst oder nicht?", erwiderte Holly und klang dieses Mal doch unfreundlich. "Wie schon gesagt, frag Kate halt selbst." Da hatte Jakob ausnahmsweise mal recht. Lou war auch weiterhin beunruhigt. Es bereitete ihr zunehmendes Unbehagen, dass dieser Riccardo die ganze Situation auch noch lustig zu finden schien. Das konnte einfach kein gutes Zeichen sein.