Jakob hatte bis jetzt keinen guten Eindruck von Riccardo. Dieser Mann schien ihm mehr als nur suspekt zu sein. Allerdings falls er wirklich Kate von irgendwoher kannte, konnte er sich als ein Verbündeter herausstellen. Jakob versuchte, diesen Gedanken für einen Moment aufrecht zu erhalten, bevor sein Blick wieder zu Kaisa ging. Das Nachtara schien wenig begeistert zu sein. "Kommt immer ganz darauf an, was du als angemessenen Ort bezeichnest... was ich mich nur frage, ist, warum dir das so wichtig ist?"
"Keine fünf Minuten enfternt ist ein recht gutes Café", erwiderte Riccardo und zeigte sich dabei zu Ethans Überraschung absolut unbeeindruckt von der offensichtlich abweisenden Art der Farmerin. Stattdessen trat sogar erneut ein Lächeln auf sein Gesicht. "Das wiederum würde ich als angemessenen Ort betiteln." Einen Moment lang blieb sein Blick an dem Nachtara hängen. "Und es sind selbstverständlich auch Pokémon erlaubt." "Also erhoffst du dir, bei einem Kaffee herauszufinden, weshalb wir mit Kates Nachtara unterwegs sind?", hakte Ethan skeptisch nach. "Unter anderem", antwortete Riccardo gelassen. "Ich fürchte, darauf wirst du auch in einem Café keine Antwort erhalten", entgegnete Ethan. Riccardos Lächeln blieb. "Notfalls rufe ich sie unterwegs an", fügte er dann hinzu.
Lou wurde aus Riccardo einfach nicht schlau. Einerseits schien ihn Kates Nachtara eindeutig nicht zu mögen und auch der Ort, wo sie sich begegnet waren, war wohl denkbar ungünstig, aber insgesamt gesehen, war der Mann nicht unfreundlich geworden oder hatte sie bedroht. Es war seltsam, keine Frage. "Wenn Kate Licht in die Sache bringen kann, dann wäre das vermutlich für uns alle ziemlich hilfreich", musste das Mädchen zugeben. "Ist ja nicht so, als ob wir nicht gesagt hätten, dass er sie kontaktieren kann", erwiderte Holly. "Hier", begann Lou und machte eine kurze, aber ausschweifende Geste, "ist das vielleicht aber nicht der beste Ort. Wir könnten uns zumindest ein bisschen wegbewegen. Das wollten wir ohnehin." Und vermutlich würden sie sich dann auch alle besser fühlen, wenn sie eben nicht direkt vor dem Lagerhaus standen.
Jakob musterte Riccardo ein wenig. Er hatte jetzt befürchtet, dass er sie ins Lagerhaus bat und er betonte, dass sie diese Einladung nicht abschlagen konnten. Allerdings merkte er, wie er doch eifersüchtig wurde, als Riccardo recht beiläufig erwähnt hatte, dass er Kates Telefonnummer besaß. Dieser Typ hatte echt Nerven, aber Jakob tröstete sich damit, dass er wusste, wer Kate wirklich war. Er blickte kurz zu den anderen. Er vertraute Riccardo kein Stück, aber er fand seinen Vorschlag besser, als hierzubleiben. "Na gut, der Vorschlag klingt vernünftig, finde ich" Jakob seufzte kurz. "Auch wenn ich glaube, dass du dir eine Menge Ärger erspart hättest, wenn du sie gleich anrufen würdest. Du scheinst ja sehr scharf darauf zu sein, zu wissen, was wir machen."
"Wie gesagt", erwiderte Riccardo, "ich kann sie gerne auf dem Weg anrufen." Sein Lächeln wurde zunehmend herausfordernd. "Aber aus irgendeinem Grund scheint ihr ebenfalls darauf zu bestehen, diese Unterhaltung an einen anderen Ort zu verlagern." Er wusste es. Ethan war sich sicher. Er wusste, um was es sich bei diesem Lagerhaus handelte. Und hinzu kam, dass Kate seltsam gewesen war - was, wenn sie befürchtet hatte, dass sie auf Riccardo trafen? Und wenn dem so war, blieb die Frage, ob sie es war, die etwas zu verbergen hatte, oder ob Riccardo selbst ein Grund zur Beunruhigung war. "Also machen wir uns auf den Weg", entschied Ethan letztlich. Riccardo nickte kurz und griff zu Ethans Irritation nach einem Pokéball. "Stört es euch, wenn ich meinem Pokémon etwas Auslauf gönne?"
"Ich kann nur für mich sprechen, aber ja, mich stört es", gab Holly offen zu, als Riccardo für ihren Geschmack zu scheinheilig fragte, ob er seinem Pokemon Auslauf gönnen konnte. Wenn er sich absichern wollte, dann sollte er das sagen. Sie wäre dann zwar auch immer noch dagegen, aber zumindest wäre es aufrichtiger. Lou war ein wenig überrascht, dass Holly so forsch war. Zwar hatte der unfreundliche Tonfall ihrer Begleiterin an Ausdruck verloren, aber eine so offene Ablehnung war ihrer Meinung nach auch nicht die beste Lösung. Vor allem weil es vermutlich ohnehin keine Rolle spielte. Sie fand nicht, dass es schwer war, darauf zu kommen, dass sie nicht die erfahrensten Trainer waren.
Jakob blickte kurz zu Holly. Er teilte ihre Meinung. Es störte ihn, sogar gewaltig. Er fühlte sich in diesem Moment doch wieder bedroht. Allerdings wollte er nicht so unfreundlich sein wie Holly und ihm fiel auch kein guter Grund ein, wieso er das nicht tun sollte. Jakobs Blick fiel auf das Nachtara und er grinste. "Also wenn du dich von Kaisa so bedroht fühlst, dass du ein Pokémon rufen möchtest, habe ich nichts dagegen, dass du dein Pokémon etwas... spazieren führen willst."
"Dafür, dass ihr mit einem der Pokémon des Champions unterwegs seid, seid ihr erstaunlich paranoid", kommentierte Riccardo mit einem Schulterzucken und steckte zu Ethans Verwunderung den Pokéball wieder weg. "Wenn es euch dermaßen stört..." Riccardo schien es nicht für nötig zu halten, den Satz zu beenden, aber Ethan ging davon aus, dass er im Notfall recht schnell eines seiner Pokémon rufen konnte. Die Frage war, ob Riccardo ernsthaft der Meinung war, es mit dem Nachtara aufnehmen zu können. "Das Café ist in Richtung Spray Street", fuhr er dann fort und nickte in die Richtung, aus der sie ursprünglich gekommen waren. Ethans Blick glitt zu dem Nachtara, das einen Moment lang reglos verharrte und sich dann in Bewegung setzte. Dennoch war der Blick, den es Riccardo zuwarf, tödlich.
"Das hat sich als gesünder erwiesen", meinte Holly nur und musterte Riccardo kritisch. Der Typ hatte seinen Pokeball einfach so wieder weggesteckt. Erst provozieren und dann auf nachsichtig machen? Wer tat sowas ohne Hintergedanken? "Das dürfte auch nicht so voll sein. Also um die Uhrzeit", kommentierte Lou das Café. Sie wollte das Thema wechseln in der Hoffnung, so etwas Spannung aus der Situation nehmen zu können. Zumindest schien Riccardo einen durchaus netten Zug an sich zu haben und das erleichterte sie durchaus. Vielleicht würde sich doch noch alles klären.
Jakob nahm es hin, dass Riccardo den Pokéball wieder wegsteckte. Er war sich nicht ganz sicher, ob das ganze ein Test oder doch eine unterschwellige Drohung war. Kaisa wirkte allerdings nicht im Geringsten ruhiger und starrte Riccardo immer noch nieder. Zu allem Überfluss begann Lou ein Gespräch mit dem Fremden. Er blickte kurz zu ihr und fragte sich, warum sie jetzt auf einmal ein ungezwungenes Gespräch mit ihm anfangen musste. Zugegebenermaßen musste Jakob in diesem Moment feststellen, dass man ihn durchaus als gutaussehend bezeichnen könnte, wenn die Narbe nicht wäre. "Wolltest du nicht Kate anrufen?", meinte Jakob dann ein wenig unfreundlich.
Einen winzigen Augenblick lang wirkte Riccardo tatsächlich von Lous Nachfrage irritiert und Ethan konnte das nachvollziehen, denn das hatte fast nach irgendeinem belanglosen Gespräch geklungen. "Das stimmt wohl", bestätigte Riccardo dann mit einem Lächeln, bevor er zu dem Idioten blickte. "Du scheinst es äußerst eilig zu haben." Der Tonfall der letzten Aussage war zwar recht neutral gewesen, aber Ethan war sich sicher, dass es trotzdem missbilligend gemeint gewesen war. Er wusste nicht einmal, woran er das festmachte, aber er war sich sicher. Allerdings schien Riccardo erstaunlich kooperativ zu sein, denn er griff tatsächlich nach einem AC-Phone, bei dem es sich tatsächlich um das neueste Modell handelte. "Muss ich jetzt befürchten, dass ihr das Telefonat nutzt, um wegzurennen oder die Polizei zu rufen, weil ihr befürchtet, dass ich euch entführen könnte?", hakte Riccardo vornehmlich an den Idioten gewandt nach, schien aber keine Antwort abzuwarten, sondern wählte eine Nummer auf dem Telefon aus und stellte es mit einem selbstgefälligen Lächeln auf Lautsprecher.
Holly schnaubte, als Riccardo die Polizei ansprach. Niemand nahm die Polizei ernst und die junge Farmerin bezweifelte, dass der Mann es anders hielt. Lou hingegen war zumindest für den Augenblick erleichtert. Ihre Bemerkung hatte nicht ganz den gewünschten Effekt gehabt, aber sie hatte ihn auch nicht komplett verfehlt. Das Mädchen hoffte nur, dass die anderen nicht wieder auf die Idee kamen, Riccardo weiter zu provozieren. Immerhin zeigte er sich äußerst koorperationsbereit und in absehbarer Zeit wären sie auch klüger, was seine Person anging. Wie viel würde sich dadurch zeigen, was Kate gleich sagen würde.
Jakob wollte gerade einen sarkastischen Kommentar auf die Polizei abgeben, als Riccardo tatsächlich ein AC-Phone zückte und Kate anrufen wollte. Jakob lächelte tatsächlich, als Riccardo das Telefon auf den Lautsprecher schaltete und nickte. "Alles gut", sagte er und blickte dann kurz zu Lou. Sie war im Moment davon abgekommen, weitere Annäherungsversuche zu unternehmen.
Ethan beobachtete Riccardo skeptisch und nach erstaunlich kurzer Zeit hörte das Tuten auf. "Riccardo", ertönte eine Stimme, die trotz mäßiger Lautsprecherqualität eindeutig Kate zuzuordnen war. "Kate", erwiderte Riccardo gelassen. "Ich habe gerade Kaisa getroffen. Würdest du deinen neuen Freunden netterweise sagen, dass ich nicht vorhabe, sie in irgendeiner Seitengasse zu erdrosseln?" "Unglaublich lustig", kommentierte Kate hörbar unzufrieden. "Sie hören mich?" "Ja." "Er wird euch nicht in einer Seitengasse erdrosseln", fuhr sie fort. "Allerdings solltet ihr darauf verzichten, euch mit ihm anzulegen." "Äußerst nett von dir", entgegnete Riccardo und klang dabei in etwa so eisig wie Kate. "Wir hatten eine Abmachung", antwortete Kate. "Richtig", bestätigte Riccardo. "Und ich für meinen Teil habe mich daran gehalten." Einen Moment lang herrschte Stille am anderen Ende der Leitung. Stille, die potentiell bedeutete, dass Kate kein Argument hatte. "Schickt Kaisa zurück, wenn ihr fertig seid", fügte Kate noch hinzu, dann legte sie auf.
Holly verkniff sich eine Bemerkung über die Herzlichkeit, die zwischen den beiden geherrscht hatte. Irgendwie hatte die junge Farmerin das Gefühl, dass etwas sehr Ernstes vorgefallen war, auch wenn sie selbst es nicht benennen konnte. Vor allem aber war dieser Riccardo noch immer nicht sonderlich vertrauenswürdig. "Das klang nicht so gut...", meinte Lou zurückhaltend. "Zumindest kann man sagen, dass das wohl nichtsdestotrotz die Bestätigung war." "Stimmt schon", pflichtete Holly bei, ebenfalls eher distanziert. Sie hatte für sich entschieden, dass es sie nicht weiter interessierte, was zwischen Kate und Riccardo ablief oder abgelaufen war. Es spielte keine Rolle, jetzt wo sie wussten, dass von ihm keine unmittelbare Gefahr mehr ausging.