Jakob warf noch einen kurzen Blick zu der Kellnerin. Er war sich sicher, so schnell wie sie die Getränke verteilt hatte, würde sie mit sicherheit sofort am Tisch sein, sobald Riccardo seinen Espresso beendet hatte. Er blickte Riccardo einen Moment lang abschätzend an. Er wusste nicht, wieso er ihnen riet, aus der ganzen Sache herauszubleiben. Natürlich könnte er nur ihr bestes im Sinn haben, aber es könnte auch einen anderen Hintergrund haben. "Auf jeden Fall danke für die Warnung. Aber wie du siehst, hat hier keiner das Bedürfnis, spontan aufzuhören. Wäre nur interessant zu wissen, ob du irgendetwas herausgefunden hast."
"Ich bezweifle, dass diese Leute vor irgendwem Halt machen und um noch direkter zu werden - ich bezweifle ebenfalls, dass ein einzelnes von Kates Pokémon wirklich einen Unterschied machen würde, wenn sie es darauf anlegen würden, euch aufzuhalten", sagte Riccardo doch recht direkt und schüttelte den Kopf. "Wie kommt es überhaupt, dass ihr euch damit befasst?" Ethan unterstellte ihm gedanklich, dass er das längst wusste, sagte aber nichts dazu. Das einzige, was an Riccardo seltsam war, war die Tatsache, dass er an der Lagerhalle aufgetaucht war - denn die Einschätzung von Kates Nachtara war vermutlich höchst subjektiv.
"Nichts für ungut, aber das ist schon eine ziemlich heftige Behauptung", erwiderte Holly, als Riccardo bemerkte, dass Kates Pokemon wohl wenig ausrichten konnte. Er schien sie zwar zu kennen, aber ein Pokemon des Champion so abzuwerten, schien auch der jungen Farmerin sehr gewagt zu sein. "Dass sie vor unnötiger Gewalt nicht zurückschrecken, haben wir schon gesehen", meinte Lou und seufzte kurz. "Ich denke mal, dass man dennoch pauschal sagen kann, dass wir jeder durchaus den ein oder anderen guten Grund haben, so ein Risiko einzugehen." Mehr Details würde Lou nicht offenbaren. Nicht von sich und von den anderen schon gar nicht. Nicht dass sie das nicht gewollt hätte, aber es erschien ihr nicht wirklich angebracht zu sein. Bedauerlicherweise.
Jakob schaute Riccardo kurz an. Er fand es für eine definitiv dumme Idee, ihm jetzt zu sagen, wieso er Freiwilliger geworden war. Allerdings bemrkte Jakob jetzt, dass Lou auffallend positiv das aufnahm, was Riccardo von sich gegeben hatte. Gepaart mit der Tatsache, dass sie die Augen von ihm nicht lassen konnte, ließ in Jakob wieder die Eifersucht aufsteigen. "Ich weiß ganz genau, was mit denen passiert, die - nennen wir es mal - störend sind. Allerdings... wenn du meinst, dass uns das Nachtara nicht geholfen hätte, müsste ja auf der Gegenseite schon einiges an starken Trainern herumlaufen." Er schüttelte den Kopf.
Ethan warf der Farmerin und dem Idioten einen skeptischen Blick zu. Offensichtlich war beiden die eigentliche Aussage nicht aufgefallen. "Viel interessanter ist doch die Tatsache, dass du dich trotzdem dort umgesehen hast", merkte er an Riccardo gewandt an. "Obwohl du selbst sagst, dass ein Pokémon des Champions wenig ausrichten kann." Ein selbstsicheres Lächeln trat auf Riccardos Gesicht. "Kates komplettes Team wäre eine andere Sache", antwortete er dann und machte eine eindeutige Kunstpause. "Ebenso wie meins." "Und als nächstes erzählst du uns, dass du der Champion aus irgendeiner anderen Region bist?", hakte Ethan skeptisch nach. "Nein", erwiderte Riccardo. "Ich kenne die anderen Champions nicht, aber ich hatte den einen oder anderen Übungskampf gegen den hiesigen."
"Ernsthaft? Das ist ziemlich beeindruckend", kam es doch recht überrascht von Lou. Dass Riccardo und Kate sich kannten, war eine Sache, aber dass er gut genug war, um auch mit ihr trainieren zu können, eine ganz andere. Das war außerordentlich bemerkenswert. "Dann ist es auch keine Überraschung, dass du dich allein umgesehen hast." "Du kämpft also auf Championniveau, aber du bist keiner? Das ist irgendwie widersprüchlich. Vor allem klang das gerade nicht so, als ob du sonst irgendwo in einer Liga groß mitmischst. Sonst müsstest du ja mindestens einen anderen Champion kennen", bemerkte Holly und musterte Riccardo doch eher skeptisch.
Jakob blickte kurz zu Lou. Sie war sehr beeindruckt davon, dass Riccardo ein guter Trainer war. Jakob konnte von sich zwar noch nicht behaupten, auf dem selben Niveau wie Kate zu sein, aber wunderte sich trotzdem, da Lou bisher nicht den Eindruck gemacht hatte, dass sie so etwas interessierte. Noch ein Grund mehr, um auf Riccardo eifersüchtig zu sein. Jakob sah Riccardo kurz mit einer Mischung aus Neid und Eifersucht an. Wenn er wirklich mit Kate mehrmals trainiert hatte, bedeutete das, dass er eigentlich ein berühmter Trainer sein müsste und doch erinnerte sich Jakob nicht daran, seinen Namen je gehört oder sein Gesicht je gesehen zu haben. "Schon seltsam, du bist gut genug, dass du mit Kate trainierst. Aber ich habe trotzdem noch nie etwas von dir gehört. Nimmst du nicht an Turnieren teil oder was machst du?"
"Richtig", bestätigte Riccardo die Aussage der Farmerin. "Ich habe ehrlich gesagt nie den Sinn dahinter gesehen, Arenaleiter herauszufordern. Sie existieren, um besiegt zu werden und derartige Kämpfe interessieren mich nicht." Er hob die Schultern. "Das bedeutet allerdings nicht, dass ich nicht trotzdem trainieren kann." Das selbstsichere Lächeln kehrte auf sein Gesicht zurück. "Und wenn Kate nicht ihr sechstes Pokémon hätte, wäre ein Kampf vermutlich sogar spannend."
"Oh, dass ist doch eine Falle", meinte Lou und war durchaus amüsiert von Riccardos Art mit ihnen zu plaudern. "Du willst, dass wir nachfragen, nur um dann offen zu lassen, ob du es weißt oder nicht." Holly schnaubte belustigt über Lous Kommentar. Möglich war es allemal, aber irgendwie kamen sie so vom Thema ab. Außerdem fand sie es merkwürdig, dass Riccardo so unbeschwert über seine Bekanntschaft mit Kate erzählte, aber das Gespräch zwischen ihm und ihr unglaublich frostig gewesen war. Für einen Moment fragte sich die junge Farmerin sogar, ob das nicht vielleicht Riccardos Taktik war, um die Gruppe dazu zu bringen, unbewusst Infos preiszugeben.
Jakob schüttelte den Kopf. Jemand, der offen Arenaleiter ablehnte, war ihm noch nie über den Weg gelaufen. Klar sollte man gegen sie gewinnen können, aber sie waren eher dazu da, um die eigenen Fähigkeiten zu testen. Was war der Sinn, ein Team zu trainieren, nur damit man dann nicht damit gegen irgendwen antrat? Jakob musste gerade wieder grinsen und wollte Riccardo fragen, ob er denn jetzt wusste, was Kates sechstes Pokémon war, da antwortete Lou schon darauf. "Spielverderberin", meinte er dann und lachte sie aber dabei an. "Aber das klang gerade echt so, als ob du wüstest, was sie noch hat. Ich meine... in 6 Jahren musste sie das noch nie rufen, das finde ich schon beeindruckend."
Einen Moment lang wirkte Riccardos Lächeln aufgesetzt, aber äußerst schnell wurde es wieder überzeugend. "Das klingt nicht nur so, als wüsste ich es. Ich weiß es." Er winkte ab. "Aber darum geht es hier nicht." Er nippte an seinm Espresso und wurde letztlich doch wieder ernst. "Das hier ist in jedem Fall weder eine Mutprobe noch ein Detektivspiel. Das hier ist gefährlich. Ich weiß nicht, wer euch zu dieser Lagerhalle geschickt hat, aber ihr solltet euch davon fernhalten." "Sollte es dir nicht reichlich egal sein, was wir tun?", hakte Ethan letztlich doch nach. "Du hast nicht einmal nach unseren Namen gefragt, also bezweifle ich, dass es dich interessiert." Für einen Augenblick hing Riccardos Blick an dem Nachtara, das sich in den Schatten neben den Tisch gelegt hatte. Dann sah er kurz gen Himmel, was Ethan noch weniger nachvolliehen konnte. "Ihr solltet akzeptieren, dass ihr in Dinge hinein geratet, in die ihr nicht hinein geraten wollt", antwortete Riccardo schließlich.
"Wo kommt das denn auf einmal her?", fragte Holly irritiert nach, weil Riccardo Ethan einfach komplett ignoriert hatte. Auch Lou wunderte sich ein wenig, allerdings war sie dem Blick des Mannes gefolgt, aber weder an Kates Nachtara noch am Himmel fiel ihr irgendetwas Merkwürdiges auf. "Und du solltest nicht glauben, dass wir das aus Spaß an der Freude machen", fügte Holly schließlich hinzu. "Wir haben jeder unsere Gründe."
Jakob folgte auch kurz Riccardos Blick, dann wandte er sich wieder ab. Die Situation wurde merkwürdiger und merkwürdiger. Erst erzählte er offen, dass er Kates sechstes Pokémon kannte, dann die Sache mit dem Himmel. "Jeder von uns hat seine Gründe", pflichtete er Holly bei. "Und glaub nicht, dass wir so einfach aufhören können, nur weil wir darauf Lust haben oder uns jemand, den wir vorher nicht kannten, vage darauf hinweist, dass wir es lassen sollen." Jakob schnaubte kurz. Er hatte auf jeden Fall keine Lust, sich weiter in die Sache hineinzuwinden, allerdings konnte er den anderen nicht sagen, warum das so war.
Ethan unterdrückte das Bedrüfnis, sich eine Hand vor die Stirn zu schlagen. Wenn der Idiot noch ein wenig eindeutiger werden würde, war es nur eine Frage der Zeit, bis die anderen darauf kamen, was er eigentlich tat. Riccardo hingegen schien davon nichts zu bemerken - oder er ging lediglich nicht darauf ein. "Es spielt überhaupt keine Rolle, ob ihr gute Gründe habt oder nicht", sagte Riccardo stattdessen und schüttelte den Kopf. "Eure Gründe sind diesen Leuten egal." Er leerte seinen Espresso - auch ein doppelter war deutlich weniger als ein normaler Kaffee. "Der Tunnel mag zwar abgesperrt sein, aber er scheint immer noch genutzt zu werden. Und wenn euch irgendwer dort sieht, ist die Wahrscheinlichkeit denkbar gering, dass man euch zu einem Kaffee einlädt."
"Du rätst uns also, dass wir so tun sollen, als ob nichts wäre? Wir sollen einfach so weitermachen wie vorher und abwarten? Am besten bis alles den Bach runtergegangen ist?", erwiderte Holly und war diesmal deutlich verärgert. Dieser Kerl hatte in ihren Augen gut reden. Ihr war klar, dass sie keine große Hilfe waren, aber das bedeutete für die junge Farmerin nicht, dass sie nicht versuchen würde, alles zu geben. Immerhin war ihr Zuhause in Gefahr. "Es stimmt schon... die Alternative ist, nichts zu tun und das kann auch nicht die Lösung sein", musste Lou zugeben, war aber auch ziemlich ratlos.