Jakob schaute zu Holly. Sie hatte den Ort des anderen Tunnelausgangs gefunden, aber die Zusatzinformation war das Erschreckende daran. "Die Polizei ist echt in schlechtem Zustand hier. Ich frage mich echt, ob das am Personalmangel liegt oder eher daran, dass die Leute schlecht verteilt werden." Er seufzte kurz. "Immerhin bedeutet das, dass niemand von der Polizei fragt, warum wir da herumschnüffeln."
Ethan hörte nicht wirklich zu, als die anderen über die Kompetenz der Polizei sinnierten. Die Polizei war nicht kompetent, aber darum ging es letztlich auch nicht, insofern hatte sein Vater recht. Es ging darum, dass sie überhaupt existierte. "Wann wollen wir dann zu dem Tunnel aufbrechen?", fragte er dann. "Ich muss Kate eine halbe Stunde vorher informieren."
"Das ist eine gute Frage", erwiderte Lou. "Wenn niemand da ist, können wir dann damit rechnen, dass die da tagsüber vorbeikommen?" "Ich glaube, dass man immer damit rechnen kann. Oder eben nicht. Kommt auf die Auslegung drauf an", meinte Holly und nahm einen Schluck aus der Tasse, die vor ihr stand. "Tagsüber sind da vermutlich mehr Leute unterwegs. Das sind prinzipiell mehr Zeugen, aber tagsüber ist man in der Masse auch unauffälliger. Außerdem müssen wir damit rechnen, dass wir eher auffallen, wenn wir uns da am Tage rumtreiben. Wir sehen nicht gerade wie Hafenarbeiter aus. Höchstens wie verirrte Touristen." Die junge Farmerin hob kurz die Schultern. Das Richtige abzuwägen war gar nicht so einfach. "Abends gibt es potentiell weniger Zeugen, aber wenn jemand etwas bemerkt, dann ist es wahrscheinlicher, dass derjenige sich daran erinnert. Allerdings wissen wir, wie die Polizei arbeitet und das tut die Organisation ab. Wir könnten uns eher verstecken, wenn es dunkel ist und es ist auch wesentlich leichter abzuhauen. Ich wäre also eher für abends", erklärte Holly ihre Sichtweise.
Jakob schaute zwischen den beiden Frauen hin und her. "Wir können nicht mit Sicherheit sagen, wann wir dort Leute treffen. Ich glaube, abends oder nachts kann man sich zwar besser verstecken, aber falls unsere Unterstützung nicht ausreicht, können wir uns nicht so einfach in belebtere Gegenden zurückziehen. Das sollten wir im Hinterkopf behalten." Jakob legte den Kopf kurz schief und überlegte. So oder so waren die Chancen, jemanden zu treffen, wahrscheinlich gering. Die Frage war nur, ob sie sich verstecken wollten. "Also wenn wir direkt hineingehen, würde ich das tagsüber machen. Nur beobachten wäre ich eher abends dafür. Mir ist es gleich, was genau wir machen." Das war ihm auch völlig egal. Im Moment wollte er ein wenig trainieren gehen, um sich von seinen Eltern, der Organisation und Ethan abzulenken.
"Ich für meinen Teil kann darauf verzichten, mich nachts dort umzusehen, ohne die Umgebung zu kennen", merkte Ethan an und klang dabei etas düsterer als beabsichtigt. "Vor allem wenn da wirklich irgendwelche Mitglieder der Organisation herumlaufen." Er konnte auf einen weiteren Zwischenfall wie den mit dem Sengo verzichten und das nur zu gut. Und abgesehen davon brachte es in seinen Augen ohnehin nicht viel, nachts ein Gebiet zu beobachten, das man nicht kannte. Die Wahrscheinlichkeit, irgendetwas zu übersehen, war definitiv zu groß. "Ich halte es für sinnvoller, sich dort erst einmal umzusehen", fügte er noch hinzu. "Und dann kann man immer noch darüber nachdenken, ob man sich nachts dorthin begibt oder nicht."
"Berechtigter Einwand", gestand Holly Ethan zu. Es stimmte schon irgendwie, wenn man die Umgebung nicht kannte, dann nutzte es nur wenig, wenn man potentiell schnell verschwinden konnte. Das hatte sie tatsächlich nicht bedacht. "Außerdem können wir doch damit rechnen, dass am Tage weniger passiert, oder?", meinte Lou dann. "Würde ich mich nicht drauf verlassen", erwiderte Holly. "Die Frage ist, ob wir dann direkt los wollen oder ob wir das lieber zu einer anderen Zeit machen wollen."
Jakob nickte erst Ethan und dann Holly zu. Im Dunkeln war es doch bestimmt keine gute Idee, dort herumzuschleichen. "Also wenn wir überhaupt nachts dort hinwollen, gehen wir erst tagsüber dahin? Gut, damit kann ich leben." Er wandte sich an Ethan. "Wie lange dauert es eigentlich, bis unsere Unterstützung zu uns stoßen kann? Können wir direkt jetzt los?"
"Wie gesagt", merkte Ethan an, als sowohl der Idiot als auch die Farmerin spontan sofort aufbrechen wollten, "ich soll Kate eine halbe Stunde vorher informieren." Er hob kurz die Schultern und ahnte bereits, dass er um den nächsten, unangenehmen Anruf nicht herumkommen würden. "Das würde ich in jedem Fall tun, bevor wir uns auf den Weg machen." Denn das war die sicherste Variante. Und auch wenn Bonaparte das vermutlich anders sehen würde, konnte zumindest Ethan auf weitere Auseinandersetzungen mit der Organisation verzichten.
"Ich hab keine Ahnung, wie lange man bis dahin braucht", meinte Holly nachdenklich. "Johnson hat ein Taxi empfohlen, ich nehme also an, dass man durchaus eine Weile unterwegs ist." "Das ist aber immer noch recht ungenau. Wir könnten allerdings einen Taxifahrer fragen, wie lange es vermutlich dauert. Die wissen bei sowas eigentlich immer ganz gut bescheid", schlug Lou schließlich ihrerseits vor. "Das wäre zumindest eine Idee", erwiderte Holly, war aber nicht wirklich überzeugt.
Jakob schüttelte kurz den Kopf. "Wenn wir einen Taxifahrer fragen, wie lange wir brauchen und wir dann schneller als in eine halbe Stunde da sind, ist das ja auch blöd. Können wir nicht die an der Rezeption fragen? Oder uns die Unterstützung hierher ordern lassen und dann, wenn sie da ist, losgehen?"
"Ich rufe Kate an", entschied Ethan wenig begeistert. "Sie wird wissen, wie weit es ist und sie wird wissen, wohin sie uns ihr Pokémon schicken will." Er griff erneut nach dem AC-Phone und fragte sich dabei, ob es wirklich eine gute Idee war, ihr zu sagen, dass der Idiot wusste, wer sie war. Aber früher oder später würde sich der Idiot ohnehin verraten und es konnte nicht gut sein, wenn die Organisation derartig viel über Kate wusste. Allerdings hatte er keinen Grund, jetzt für das Telefonat erneut auf sein Zimmer zu gehen. Er würde es ihr bei der nächsten Gelegenheit sagen.
"Wenn du denkst, dass sie das weiß, dann ist das vermutlich die beste Lösung", gab Holly zu und hob kurz die Schultern. Sie wusste es nicht, aber Ethans Argument klang plausibel. Ihr selbst war es recht, so lange sie dadurch nicht unnötig Zeit vergeudeten. Lou warf indes Jakob einen kritischen Blick zu. "Du weißt schon, dass man Taxifahrer auch fragen kann, ohne dass man gleich mitfahren muss, oder?", wollte das Mädchen von ihm wissen. Immerhin handelte es sich dabei auch um Menschen und wie die meisten gaben auch die mehr oder weniger gerne eine Auskunft.
Jakob gähnte einen kurzen Moment und sah dann Lou an. "Nein, ich dachte, ich verschwende damit seine Zeit. Ich hab es für unhöflich gehalten, zu fragen und dann nicht gleich zu fahren." Er zuckte kurz mit den Schultern. "Aber ich hab ja auch nicht gedacht, dass man die Rezeptionsdame nach Turnieren fragen kann. Ich hoffe im Übrigen, ich kann mich noch ausreichend auf Mittwoch vorbereiten." Und er hoffte, dass Pachira bis dahin wieder auskuriert war. Sie war der Schlüssel für seinen Plan gegen das Bluzuck. Aber das Smettbo durfte er auch nicht unterschätzen. Er würde intensiv mit Siggi trainieren müssen. Zu schade, dass das gestern aufgrund der ganzen Ereignisse nicht mehr geklappt hatte.
Mit einem kurzen Nicken wählte Ethan Kates Nummer aus den Kontakten aus und rief an. Es dauerte eine Weile, bis sie sich dazu zu bequemen schien, den Anruf entgegen zu nehmen. "Guten Morgen", erwiderte Ethan doch eher knapp und zugegebenermaßen steif. "Das war ein äußerst herzliches 'Guten Morgne'", erwiderte Kate gelassen. "Ich habe nicht erwartet, dass ihr euch so früh meldet" "Habe ich beim Ausschlafen gestört?", hakte Ethan aus Prinzip nach. "Wohl eher beim Training", korrigierte Kate hörbar unbeeindruckt. "Wann wollt ihr aufbrechen?" "So bald wie möglich", antwortete Ethan. "Ich schicke euch eines meiner Pokémon zum Hotel, das dürfte am schnellsten gehen", entschied Kate und schien einen Moment lang zu zögern. "Seid vorsichtig." "Hast du noch irgendwelche Informationen?", fragte Ethan skeptisch nach. "Nichts, was von Bedeutung wäre", erwiderte Kate, wenn auch zu schnell für seinen Geschmack. "Mein Pokémon wird vor dem Hotel warten." Relativ abrupt legte Kate auf, sodass Ethan nicht umhinkam, leicht die Stirn zu runzeln. Es war seltsam. Sie wusste etwas. Definitiv. Die Frage war, was.
"In so großen Orten sollten die Taxifahrer das eigentlich kennen. Sowas kommt immer mal wieder vor, weil die Leute halt Ausflüge und Treffen und sowas alles planen", erklärte Lou an Jakob gewandt, bemerkte dann aber, dass Ethan wieder aufgelegt hatte. "Und? Was sagt sie?", fragte Holly interessiert nach. Immerhin hatte Ethan sich auch erkundigt, ob Kate noch nennenswerte Informationen hatte. Wenn dem so war, würde sie sich bestimmt nicht beschweren. Jede Information war irgendwie hilfreich. Jedenfalls war das zunächst mal ihre Grundeinstellung.