„Die Freiwilligen hier", erwiderte Holly, nachdem Cordes abgenommen hatte. Die Polizistin klang wie immer, sodass Holly annahm, dass wieder alles normal war. Zumindest hoffte sie das. „Nur kurz vorweg: Sie sind auf laut gestellt", meinte die junge Farmerin und bemühte sich um einen möglichst sachlichen Tonfall. „Wir sind auf etwas gestoßen, worüber wir erst mit Ihnen reden wollen. Es geht um Chief Rodriguez." Holly wollte dieses Mal nicht mit der Tür ins Haus fallen, das schien beim letzten Mal keine gute Idee gewesen zu sein. Außerdem war es ihrer Meinung nach keine schlechte Idee, wenn sie herausfanden, wie Cordes auf den Namen des Chief reagieren würde.
Einen kurzen Moment lang herrschte Stille am anderen Ende der Leitung, dann schnaubte Cordes. "Rodriguez", kommentierte sie dann in einem eindeutig abfälligen Tonfall. "Wenn ich auf laut bin, hoffe ich, dass ihr zumindest dafür sorgt, dass außer euch keiner zuhört."
"Wir sind allein", bestätigte Holly, verschwieg dann aber doch lieber, wo genau sie sich befanden. Sicher war sicher. Sie mussten es ja nicht provozieren, dass Chief Cordes' Laune weiter fiel. Holly war ohnehin der Meinung, dass das viel zu einfach ging. "Aber ihrer Antwort entnehme ich, dass sie den Chief nicht sonderlich gut leiden können, oder?", fragte die junge Farmerin dann nach. Es würde jedenfalls passen. Rodriguez hatte sich ebenfalls abfällig über Cordes geäußert.
"Richtig", bestätigte Cordes. "Spielt das eine Rolle? Ich bezweifle es." Sie schnaubte. "Und ich hoffe, ihr ruft nicht nur an, weil er schlecht über mich geredet hat." Ethan musterte da AC-Phone in seiner Hand und fragte sich, ob das Cordes' üblicher Tonfall war oder ob sie besonders schlecht gelaunt wirkte. Er war sich nicht sicher.
Das war sehr eindeutig, das musste Holly zugeben. Sie war sich nur nicht sicher, ob das nun gut oder schlecht war. Vermutlich eine Mischung aus beidem. "Wenn das unsere Absicht gewesen wäre, dann hätten wir das früher gemacht", entgegnete die junge Farmerin mit neutralem Tonfall. "Wir rufen an, weil Ethan vorhin mit dem Chief gesprochen und den nicht unbegründeten Verdacht hat, dass er bestechlich ist. Inklusive der potentiellen Chance das ausnutzen zu können." Holly hoffte, dass Cordes diese Info nicht abtun würde, denn immerhin waren sie sich in der Gruppe einig, dass das definitiv nicht unbedeutend sein konnte. Es wäre mehr als nur ärgerlich, wenn sie mit ihr darüber diskutieren mussten.
"Erwartet ihr jetzt eine überraschte Reaktion von mir?", hakte Cordes nach und klang dabei in der Tat reichlich unüberrascht. "Er war schon in seiner Rekruten-Zeit nicht anders und in unserem aktuellen System scheint man damit durchaus weit zu kommen. Immerhin ist er Chief, ohne je stellvertrender Chief gewesen zu sein."
Cordes war nicht überrascht, aber das lag vermutlich auch daran, dass sie ihr gesagt hatten, worum es ging. Außerdem klang ihre Aussage danach, dass sie und Rodriguez sich definitiv länger kannten. "Das wissen wir schon", antwortete Holly anschließend auf die letzte Aussage. "Die Frage ist eher, wie wir Ihrer Meinung nach damit umgehen sollen. Sie sind immerhin im Moment unser einziger Ansprechpartner. Ich glaube nicht, dass ich erwähnen muss, was der Chief von uns Freiwilligen hält."
"Oh, ich bin mir sicher, dass er einiges von Mr. Courtenay hält", erwiderte Cordes mit unverkennbarer Missbilligung in der Stimme. "Rodriguez ist immer auf der Suche nach einflussreichen Freunden." Ethan biss die Zähne aufeinander und zwang sich dazu, zu ignorieren, dass Cordes ihn einmal mehr auf seinen Nachnamen reduziert hatte. Düster starrte er das AC-Phone an. "Solange ihr nichts von ihm verlangt, was gegen seine anderen Freunde spricht, wird er offen für Vorschläge sein", fügte Cordes derweil hinzu.
"Ethan", begann Holly und betonte den Namen des jungen Mannes bewusst, "ist, wie Sie wissen, dafür, dass die Polizei als Institution wieder mehr Möglichkeiten bekommt. Dementsprechend hat er vorgeschlagen, dass wir mit Ihnen sprechen." Ethan tat viel für die Freiwilligen und für Holly war klar, auf welcher Seite er stand. Für Cordes galt das offenbar nicht, obwohl die Polizistin das inzwischen besser wissen sollte. "Wenn Sie aber keine Einwände haben, dass wir diese Möglichkeit ausnutzen, dann soll uns das recht sein", meinte die junge Farmerin noch immer sachlich, aber deutlich kühler. "Vielleicht hilft uns das nämlich weiter, während die Polizei hier, wie Sie vielleicht wissen, erstmal mit sich selber beschäftigt ist." Tatsächlich hatte Holly gar keine Ahnung, ob Cordes von den gestohlenen Akten wusste, aber das fiel ihr erst auf, als sie ihren Satz schon beendet hatte. Das war vielleicht nicht sehr geschickt von ihr gewesen, aber sie nahm an, dass die Polizistin schon nachfragen würde, wenn sie nicht bescheid wusste.
Lou:
Lou war überrascht, dass Holly sich auf einmal so für Ethan einsetzte. Tatsächlich hätte sie nicht genau sagen können, was ihre Begleiterin über ihn dachte, aber da Holly ihn nun vor Cordes in Schutz nahm, hatte sich das wohl erledigt. Das Mädchen hatte sogar die Hoffnung, dass sich das Verhältnis der beiden dadurch bessern würde. Für die Gruppe wäre es hilfreich und auch so würde es den beiden gewiss gut tun, wenn sie sich richtig anfreunden würden.
Ethan warf Holly einen prüfenden Blick zu. Er war sich nicht sicher, ob er es gut oder anstrengend finden sollte, dass sie deutlich machte, was sie von Cordes' Äußerung hielt. Hinzu kam, dass auch Lou zumindest so aussah, als hätte sie den Kommentar zur Kenntnis genommen. "Ich wüsste nicht, was dagegen spricht - allerdings wundert es mich, dass er bei dem aktuellen Chaos überhaupt mit euch gesprochen hat", erwiderte Cordes derweil gänzlich unbeeindruckt von Hollys Einwurf. "Aber stellt euch darauf ein, dass er unter Garantie nicht vergisst, was ihr ihm anbietet. Er hat ein erschreckend gutes Gedächtnis und das hilft ihm ungemein bei seinen... vielen Abmachungen mit wichtigen Leuten."
Holly unterdrückte ein Schnauben. Die Polizistin war anstrengend. Definitiv. Aber das hatte hier gerade keinen Platz, weshalb Holly ihren Missmut dieses Mal herunterschluckte. "Dass er ein sehr gutes Gedächtnis hat, haben wir auch schon erfahren. Und auch vorgeführt bekommen", erzählte sie stattdessen. "Und dass er sich mit uns beschäftigt hat... Einfach ausgedrückt, haben wir uns wahrscheinlich aufgedrängt, wenn man so will. Als wir da waren, konnte er uns nicht ignorieren." Was nicht einmal gelogen war, auch wenn die Umstände ein wenig anders gewesen waren. "Wir vermuten übrigens ein Rotomurf, aber er war da anderer Meinung. Bisher haben wir auch sonst nicht viel anderes herausgefunden. Außer halt, dass er bestechlich ist", erklärte die junge Farmerin, wobei sie versuchte, sich wieder mehr auf ihre Aufgabe zu konzentrieren. "Können Sie uns irgendetwas über ihn sagen? Hat er für irgendwas Spezielles eine Schwäche oder so?"
"Ich bezweifle, dass Rodriguez euer Rotomurf ist", antwortete Cordes nach einer kurzen Pause. "Ihm geht es um seinen eigenen Vorteil und als Rotomurf zu fungieren ist viel zu riskant für ihn. Es ist gut möglich, dass er weiß, wer das Rotomurf ist, falls es denn eines gibt - solange ihn jemand dafür bezahlt, würde er kein Wort darüber verlieren." Sie schnaubte. "Und Bezahlung ist das Stichwort. Er will Geld. Geld und Luxusgüter. Vermutlich wäre er am liebsten Arkwirghts verlorener Sohn. Oder sein lange verschollener Zwillingsbruder."
Holly fand, dass Rodriguez sich einen merkwürdigen Beruf ausgesucht hatte. Sie konnte sich nicht vorstellen, dass es jemals lohnenswert gewesen war, Polizist zu werden, wenn man viel Geld wollte. Vor allem nicht, wenn man ein so gutes Gedächtnis hatte. Da musste es doch andere Möglichkeiten geben. "Das ist so uneindeutig, wie es eindeutig ist", erwiderte Holly auf diese Erklärung hin. Einerseits schien es einfach zu sein, aber andererseits war es auch recht unkonkret. Holly unterdrückte ein weiteres Seufzen und sie fragte sich, ob sie ansprechen sollten, dass sie vermuteten, dass jemand in Johnsons Wohnung gewesen war. Für einen kurzen Moment sah sie in die Richtung des Wohngebiets, entschied sich dann aber dagegen. Sie hatten nichts und waren außerdem beim Captain eingebrochen. Das musste Cordes nicht wirklich wissen.
"Was war daran nicht eindeutig?", hakte Cordes nach. "Rodriguez ein Rotomurf? Viel zu gefährlich. Rodriguez, der über eine ganze Menge Dinge hinwegsieht? Beim richtigen Preis höchstwahrscheinlich." Für Ethan klang das durchaus eindeutig und er verstand tatsächlich nicht, was Hollys Problem an Cordes' Aussage gewesen war. Da die Farmerin allerdings schwieg und dem nichts mehr hinzuzufügen schien, ergriff er letztlich das Wort. "Sie scheinen Rodriguez recht gut zu kennen - haben Sie noch irgendwelche nützlichen Informationen zu ihm?" "Wir waren zeitgleich Rekruten in Litora City", erwiderte Cordes hörbar unbegeistert. "Leider. Anfangs hat er geglaubt, er wird mal der strahlende Held in goldener Rüstung. Mittlerweile beschränkt er sich auf das Gold."
Holly verzichtete darauf ihren Gedankengang zu erklären, weil es nicht hilfreich gewesen wäre. Wenn sie Zeit hatte, um darüber nachzudenken, fiel ihr vielleicht dieses Mal eher auf, inwiefern sie uneindeutig gewesen war. Für den Augenblick schon Holly das allerdings bei Seite und hörte Ethan und Cordes zu. Zumindest war jetzt die Frage geklärt, warum Rodriguez bei der Polizei war, auch wenn sie das wohl nicht weiterbrachte. Holly bezweifelte jedenfalls, dass der Chief sich spontan an seine ursprüngliche Motivation erinnern würde. Nicht nach so vielen Jahren, die ihm vermutlich gezeigt haben, dass er so besser dran war. "Und wie genau passt da der Captain ins Bild?", fragte Holly dann nach. "Wir haben gehört, dass die beiden sich noch nie richtig leiden konnten. Lag es an unterschiedlichen Einstellungen oder ist da mehr dahinter?"
Lou:
Lou fand es traurig, dass die Arbeit bei der Polizei derartig desillusionierend zu sein schien. Leute mit guten Absichten ließen diese zurück und was blieb übrig? Sie fragte sich, ob Cordes auch einmal... ambitionierter gewesen war und ob die Arbeit bei der Polizei schuld daran war, dass sie nun so eine mürrische Grundhaltung an den Tag legte. Lou kam auch unweigerlich zu der Frage, ob es Leuten wie Brandon oder Nick ähnlich ergehen würde und sie stellte fest, dass ihr diese Vorstellung nicht gefiel. Im Grunde zeigte es nur noch mehr, dass dringend etwas passieren musste.