Als das Ohrdoch sich dem Glumanda widmete und es zumindest soweit beruhigte, dass es nicht mehr zappelte, zwang sich auch Lou einen Augenblick lang durchzuatmen. Die Situation nahm sie mehr mit, als sie erwartet hatte und das obwohl sie sich angestrengt hatte, ruhig zu bleiben. Mit eher mäßigem Erfolg, wie das Mädchen zugeben musste. "Du bist sicher", wiederholte Lou abermals, dieses Mal achtete sie darauf, nicht wieder einfach zu viel auf einmal zu sagen und sich stattdessen mehr auf die Art und Weise zu konzentrieren, wie sie es sagte. Das Glumanda sollte sich beruhigen, also war ein ruhiger Tonfall wichtig. "Beruhige dich und dann merkst du das auch."
Das Glumanda lag weiterhin wie versteinert da und starrte dabei das Ohrdoch an. Lou schien es dabei fast vollständig zu ignorieren. Ethan war sich indes nicht sicher, wie gesund eine so hohe Herzfrequenz für ein eindeutig geschwächtes Pokémon war, sodass er tatsächlich mit dem Gedanken spielte, den Notfallknopf zu betätigen, falls sich die Herzfrequenz nicht wieder verlangsamen würde. Tatsächlich schien aber genau das zu passieren, wenn auch sehr, sehr langsam und Ethan war sich ziemlich sicher, dass das dem Ohrdoch geschuldet war und nicht etwa Lou, denn das Glumanda war dabei eindeutig noch immer auf das Ohrdoch konzentriert.
Lou machte sich weiterhin Sorgen, allein schon, weil sie gar nicht anders konnte. Sie war froh, dass das Ohrdoch da war, denn dieses schien tatsächlich zu dem Glumanda durchzudringen und das war definitiv eine Verbesserung, auch wenn sie nicht verstand, was genau das Ohrdoch eigentlich tat. Lou sah nur immer wieder flüchtig zu dem Monitor, der die Herzfrequenz anzeigte, aber ließ ihn nie ganz aus den Augen, auch wenn ihr Fokus noch immer definitiv auf dem Glumanda lag. Dieses fixierte das Ohrdoch und schien im Augenblick auch nichts anderes wahrzunehmen, sodass Lou zumindest für den Moment still war und das Ohrdoch seine Arbeit machen ließ. Egal, was es tat, es funktionierte und in Lous Augen war das, das Einzige, was zählte.
Lou fühlte sich durchaus etwas hilflos, aber sie zwangs sich abermals dazu, durchzuatmen und sich so zu beruhigen. Das Ohrdoch leistete ganze Arbeit und das musste man ihm neidlos anerkennen, das war auch Lou klar. Tatsächlich fühlte sie sich inzwischen auch ein wenig besser, da es zumindest darauf hinauszulaufen schien, dass das kleine Pokémon nicht zusätzlich sediert werden musste. "Geht es langsam?", fragte Lou dann mit sachtem Tonfall nach. Sie wollte wissen, ob das Glumanda noch immer starr auf das Ohrdoch fixiert war oder nun doch langsam seine Umwelt besser wahrnahm. Lou hoffte, dass das die Arbeit des Ohrdoch nicht beeinträchtigte, aber sie ging davon aus, dass der Arzt etwas gesagt hätte, was das Reden während Ohrdochs Tätigkeit anging.
Ethan beobachtete, wie das Glumanda letztlich den Kopf drehte und Lou ansah. Selbst auf die Entfernung und obwohl er noch nie mit einem Glumanda zu tun gehabt hatte, sah Ethan dem Pokémon seine Angst an. Und das sprach in seinen Augen definitiv dafür, dass es keine sonderlich guten Erfahrungen mit Menschen gemacht hatte - im Gegenteil.
Lou begegnete dem Blick des Glumanda und es brach ihr fast das Herz. Sie war alles, aber kein Experte, aber trotzdem war seine Angst so offensichtlich, dass sie ihr fast greifbar erschien. Natürlich war das eigentlich kein Wunder, wenn man bedachte, wo sie das kleine Pokémon gefunden hatten. Und wenn Lou ehrlich war, hatte sie wahrscheinlich nur den Bruchteil einer Ahnung, was man ihm angetan hatte. "Hallo, kleiner Kämpfer", begrüßte Lou das Pokémon sanft, jetzt wo sie seine Aufmerksamkeit hatte. Allerdings verzichtete sie darauf, dichter heranzutreten, um dem Glumanda nicht noch mehr Angst zu machen. Lou war klar, dass sie auch weiterhin vorsichtig sein musste, um das Kleine nicht zu überfordern. "Es ist schön, dass ich dich endlich kennenlernen kann... Darf ich dich etwas fragen?" Lou sprach langsam, achtete dabei auf jede mögliche Regung, die das Glumanda zeigen konnte. Sie wollte, dass es sich so wenig wie möglich von ihr eingeschüchtert fühlte und stattdessen hoffentlich bemerkte, dass sie auf sein Befinden Rücksicht nahm.
Ethan hielt sich bewusst zurück und blieb bei seinem Stuhl stehen, weil er davon ausging, dass ein weiterer Mensch das Glumanda nur noch mehr verunsichert hätte. Abgesehen davon war er sich sicher, dass Lou deutlich bessere Chancen hatte als er, zu dem Glumanda durchzudringen. Dieses starrte Lou weiterhin an, zeigte allerdings keine Reaktion auf ihre Frage.
Lou wartete einen Augenblick, aber das Glumanda reagierte nicht auf ihre Frage. Sie nahm an, dass es daran lag, dass es vermutlich noch nie nach seiner Meinung oder seinem Befinden gefragt wurde. Ein weiterer Punkt, der in Lous Augen mehr als nur traurig war. "Ich verstehe, dass du Angst hast", sprach Lou dennoch weiter. "Du musst nicht mit mir reden, wenn du das nicht willst... Ich mache dir einen Vorschlag: Wenn ich aufhören soll, dann guck einfach wieder zu Ohrdoch und ich warte, bis es in Ordnung für dich ist. Wenn du möchtest, dass ich dir erzähle, wo du jetzt bist und was los ist, dann guck mich weiter an. Du entscheidest und ich halte mich daran. Versprochen." Lou wollte ihrer Idee, dem Glumanda ein Mitbestimmungsrecht einzuräumen, noch nicht abweichen. Es sollte wissen, dass es ihr nicht egal war, was es wollte und darum gab sie ihm auch eine Wahl. Sie wollte ihm zeigen, dass sie sich an das hielt, was sie ihm versprach.
Lou schlug sich mehr als gut, zumindest in Ethans Augen. Er war davon überzeugt, dass er selbst nicht einmal ansatzweise gewusst hätte, was in einer Situation wie dieser zu tun war. Lou hingegen wirkte erstaunlich ruhig, auch wenn Ethan davon ausging, dass sie sich nur betont ruhig gab und eigentlich alles andere als gelassen war. Er musste zugeben, dass es ihn durchaus beeindruckte, wie sie die Situation bisher meisterte. Das Glumanda blickte derweil von Lou zu dem Ohrdoch, sah das Pokémon einen Moment lang an und sah anschließend erneut zu Lou.
Als das Glumanda den Blick abwandte, war Lou kurz davor, sich schweigend auf ihren Stuhl zu setzen. Als es dann doch zu ihr sah, entlockte das dem Mädchen ein vorsichtiges und vor allem sehr kurzes Lächeln, aber das Verhalten des kleinen Feuerpokémon stimmte Lou nun vorsichtig optimistisch. Sie durfte sich jetzt nur nicht wieder hinreißen lassen und musste sich stattdessen auf die Bedürfnisse des Glumanda konzentrieren. "Okay... Die Menschen, die dir wehgetan haben, sind weggegangen und haben dich zurückgelassen", fing Lou dann langsam mit ihrer Erklärung an. Sie musste auch langsam machen, weil sie gerade dabei war, definitiv schlimme Erinnerungen in dem Glumanda wachzurufen. Ein weiterer Grund, warum sie ihre Erklärung simpel halten wollte. "Wir haben dich dort gefunden. Du warst ganz schwach und darum haben wir dich hierher gebracht. Diesen Ort nennt man Pokémon-Center. Hier helfen Menschen und Pokémon wie Ohrdoch anderen Pokémon, die verletzt oder krank sind. So wie du zum Beispiel. Du bekommst hier Hilfe." Lou machte eine Pause, um ihre Erklärung kurz sacken zu lassen. Sie musste noch mehr erklären, aber das wollte sie definitiv Stück für Stück machen.
Das Glumanda sah Lou weiterhin an und blieb auch ruhig, was ein gutes Zeichen war. Sie schienen sich definitiv in die richtige Richtung zu bewegen. "Ich weiß, das wirkt alles sehr einschüchternd, aber du bekommst hier wirklich Hilfe. Ohrdoch zum Beispiel hat eben geholfen, damit du weniger Angst haben musst. Das Glas, wo du drin bist, ist dafür da, damit du es schön warm hast", erklärte Lou und entschied dann, dass sie es bei diesen Beispielen belassen wollte. Sie glaubte, dass das Glumanda das Prinzip verstanden hatte. "Alles, was hier passiert, ist dafür da, damit es dir bald wieder besser geht. Und wenn es soweit ist, musst du auch nicht zurück. Du musst nie wieder dahin." Und das war ein Punkt, von dem das Mädchen annahm, dass es ihn gar nicht genug hervorheben konnte, aber nach allem, was passiert war, wäre es vermutlich nicht einmal überraschend, wenn das Glumanda dennoch skeptisch blieb. Lou hatte seinen Blick gesehen. So voller Angst. Ihr war klar, dass ein Gespräch das nicht richten konnte, aber sie wollte, dass das kleine Pokémon von dieser Aussicht zumindest schon gehört hatte.
Als Lou das Ohrdoch erwähnte, sah das Glumanda zu dem anderen Pokémon, bevor es seinen Blick wieder Lou zuwandte. Noch immer war für Ethan die Angst deutlich erkennbar und das Glumanda zeigte ansonsten keine wirkliche Reaktion.
Lou unterdrückte ein Seufzen. Das kleine Glumanda tat ihr unglaublich leid. Es hatte Dinge erlebt, von denen es nich einmal wissen sollte, dass sie möglich waren. Eigentlich sollten sie gar nicht erst möglich sein. "Es ist absolut verständlich, dass dir das alles nicht geheuer ist", meinte Lou dann, als das Feuerpokémon keine Reaktion zeigte. "Und auch, dass du mir wahrscheinlich nicht wirklich glaubst. Das ist alles neu und ziemlich viel, ich weiß. Niemand ist dir deswegen böse." Auch das war etwas, von dem sie wollte, dass das Glumanda es wusste: Dass sein Verhalten nachvollziehbar war und dass es keine Strafe zu befürchten hatte. "Wichtig ist, dass du ruhig bleibst und dich ausruhst, okay? Du bist zwar ein kleiner Kämpfer, aber auch so einer muss sich erholen", meinte Lou und lächelte das Glumanda schließlich an, in der Hoffnung vielleicht dieses Mal eine andere Reaktion zu bekommen.