"Gut möglich... Vielleicht wollte sie tatsächlich niemanden, der ihr zu nahe steht... Sowas kann schnell in Vorwürfen enden", musste Lou zugeben. Und vermutlich hat sich Kate von Conchua besonders hintergangen gefühlt, zumindest erschien das dem Mädchen plausibel. "Wenn sie aber über Riccardo geredet hat, dann muss sie das wirklich enorm mitnehmen. Vor allem wenn sie tatsächlich versucht hat, sich mit Alkohol abzulenken. Ich hab zum Glück keine eigenen Erfahrungen, aber wenn du sie davon abgehalten hast, weiter zu trinken, dann war das definitiv was Gutes."
"Ja, gut möglich", bestätigte Ethan mit einem kurzen Nicken. "Was Riccardo angeht... will ich allerdings nicht ins Detail gehen. Ich glaube, es wäre nicht in ihrem Interesse, wenn ich das weitergebe, was sie mir gesagt hat. Sollte es irgendwann wichtig sein, ist das etwas anderes, aber fürs Erste..." Er hob die Schultern. "Jedenfalls war ich im Nachhinein doch erleichtert. Immerhin habe ich ja halb damit gerechnet, dass sie die Zusammenarbeit aufkündigt."
"Du musst mir auch keine Details geben, wenn du das für unangemessen hältst", bestätigte Lou dem jungen Mann. "Ich meine, es ist offensichtlich, dass Kate noch ziemlich an ihm hängt, aber alles andere... Wenn sie es dir anvertraut hat, ist es das Beste, wenn du es für dich behältst. Auch wenn ich den beiden wünsche, dass sich alles irgendwie regelt, damit sie... normaler miteinander umgehen können, geht uns die Beziehung halt nichts an, so lange sie die... Zusammenarbeit nicht beeinträchtigt. Und nur fürs Protokoll: Das heißt nicht, dass ich nicht neugierig bin, sondern nur, dass ich deine Einschätzung, nichts weiter zu sagen, respektiere." Lou winkte ab und seufzte. Solche Geschichten waren wohl nie einfach. "Aber... kommst du klar? Ich bin mir ziemlich sicher, dass so ein Gespräch auch für denjenigen, der nur zuhört, ziemlich belastend sein kann", fragte das Mädchen noch nach.
Als Lou zugab, neugierig zu sein, schnaubte Ethan amüsiert. "Ich komme klar", antwortete er dann. Immerhin hatte der Abend letztlich ja eine andere Wendung genommen. "Na ja, vielleicht kannst du mich tatsächlich bezüglich einer Sache aufklären", fügte er hinzu, weil er davon ausging, dass das recht ungefährlich war. "Sie hat gesagt, dass die ganze Sache Jahre her sei - das klingt lange. Ist es normal, dass sich die beiden dann immer noch... so verhalten, wie sie es tun?"
„Das ist Jahre her?“, wiederholte Lou überrascht. „Wow... okay... Ich hab eigentlich vermutet, dass es noch relativ frisch ist, weil sie beide so... empfindlich sind, was das Thema angeht. Es wirkt eigentlich so, als ob sie sich noch nicht mit der Trennung abgefunden haben, aber das kommt normalerweise nach einiger Zeit. Je nach dem was passiert ist, kann das auch definitiv etwas länger dauern. Aber da rede ich von Monaten und nicht von Jahren...“ Lou war ehrlich überrascht. Ihr kam es fast so vor, als ob die beiden eigentlich keine Trennung wollten. Allerdings blieb die Frage, was dann eigentlich passiert war.
"Ich muss zugeben, dass es mich durchaus beruhigt, wenn ich nicht der einzige bin, der sich darüber wundert", merkte Ethan an. "Ich meine... Selbst wenn es einen guten Grund für die Trennung gab, wirken beide irgendwie nicht so, als hätten sie damit abgeschlossen..." Er seufzte. "Ich kenne zwar nur Kates Perspektive und die auch nur annähernd, aber ich frage mich, ob es nicht für beide besser wäre, sich entweder damit abzufinden oder es zu klären. Der jetzige Zustand hilft keinem."
"Definitiv nicht", bestätigte Lou Ethans letzte Aussage. "Das Problem dabei ist, dass wir keine Ahnung haben, was genau vorgefallen ist. Allerdings scheint diese ominöse Abmachung, die ja gebrochen wurde, da irgendwie mit reinzuspielen. Wenn ich vermuten müsste, dann spielt die sogar eine größere Rolle, immerhin legen die beiden ja offensichtlich Wert darauf, dass sie trotzdem weiter eingehalten wird." Lou seufzte schwer und fuhr sich durch das Haar. "Ich frage mich, inwiefern es hilfreich wäre, wenn wir mehr über Riccardo wüssten... Allerdings hab ich keine Ahnung, in welche Richtung man da Informationen bräuchte."
Ethan sah Lou einen Moment lang prüfend an und fragte sich, wann aus dem unangenehmen Gespräch Spekulationen über Kate und Riccardo geworden waren. Er war sich nicht einmal sicher, ob das überhaupt in seinem Interesse lag. Allerdings wirkte Lou auf ihn relativ normal, sodass er sich dagegen entschied, nachzuhaken. Stattdessen hoffte er darauf, dass sie es gegebenenfalls ansprechen würde, wenn irgendetwas nicht in Ordnung war - oder dass man es ihr wenigstens anmerkte. "Riccardo selbst ist das Thema, bei dem Kate am sparsamsten war", merkte Ethan dann an, um eine längere Gesprächspause zu verhindern. "Dementsprechend bin ich mir ziemlich sicher, dass mehr Informationen über Riccardo der Schlüssel zu den Antworten sind." Er schnaubte. "Allerdings bin ich mir auch sehr sicher, dass wir diese Informationen nicht einfach so bekommen werden."
Ethan schien sie zu mustern und Lou war sich nicht sicher, warum das so war. Allerdings hatte sie eine Vermutung. "Mir geht es wirklich gut", versicherte sie dem jungen Mann schließlich. "Das Gespräch gerade ist auch keine Ablenkung, ich meine es ernst, okay?" Das Mädchen lächelte leicht, wollte ihm zeigen, dass wirklich alles gut war, ehe es, quasi um seine eigene Meinung zu untermauern, das Gespräch auch fortsetzte. "Wir können zumindest sicher sein, dass er mehr ist als ein starker Trainer aus Kanto", meinte Lou und hob ratlos die Schultern. "Weil sonst wäre sie nicht so sparsam mit den Informationen und vermutlich hätte auch Cordes uns das gesagt, wenn sie nicht andere Vermutungen hätte. Aber das ist irgendwie schon alles... Ich meine, wir wissen nicht mal, ob er wirklich Riccardo heißt. Also im selben Sinne wie Kate eigentlich nicht Kate heißt."
Ethan war einen Moment lang irritiert, als Lou sehr direkt genau das ansprach, was er gerade gedacht hatte. Dann lächelte er und schüttelte den Kopf. "Manchmal ist es fast ein bisschen gruselig, wenn du das tust", kommentierte Ethan ihre äußerst zutreffende Einschätzung. "Spätestens jetzt muss ich es dir ja glauben." Ansonsten hätte sie das Ganze wohl kaum angesprochen. "Und ja, ich glaube auch, dass er kein einfacher Trainer ist. Aber ich würde fast sagen, dass Riccardo sein echter Name ist - ansonsten hätte Kate ihn vor allem in ihrem angetrunkenen Zustand wohl nicht so selbstverständlich benutzt."
"Ich kann dich ja schlecht weiter darüber grübeln lassen, ob ich es nun ehrlich meine oder nicht", erwiderte Lou mit einem Lächeln. "Außerdem finde ich es echt liebenswürdig von dir, dass du so um mich besorgt bist." Und das stimmte auch, vor allem wenn sie sein Verhalten mit dem von Alois verglich, aber das war etwas, was sie nicht unbedingt laut aussprechen würde. Vor allem nicht in dieser Situation, denn das Thema war denkbar unpassend. "Ich glaube, ich kann einfach Leute gut beobachten... mehr oder weniger jedenfalls. Und vorausgesetzt, sie zeigen auch irgendwas. Um aus so einem Pokerface wie Watanabe oder Johnson etwas herauszulesen, muss man vermutlich schon extra geschult worden sein", meinte das Mädchen dann und nickte schließlich auf Ethans letzte Aussage hin. "Guter Gedanke. Es gibt nicht umsonst ein Sprichwort, das besagt, dass kleine Kinder und Betrunkene immer die Wahrheit sagen... Da ist definitiv was dran und wenn Kate sich nicht verhaspelt hat oder unnötig lange überlegt hat, dann spricht das definitiv dafür, dass Riccardos Name auch sein richtiger ist."
Lous Aussage brachte Ethan einen Moment in Verlegenheit. "Na ja, ich dachte... unter Freunden ist das normal?", merkte er dann halb fragend an. Bisher hatte er nicht wirklich darüber nachgedacht, aber natürlich sorgte er sich um Lou. Sie war schließlich auch schon mehrfach für ihn dagewesen. "Das Sprichwort kannte ich gar nicht", stellte er dann fest, um das Thema wieder zu wechseln. "Und was Watanabe und Johnson angeht... Vor allem letzterer ist für mich kaum zu verstehen, was seine Einstellung angeht."
„So sollte es sein“, bestätigte Lou mit einem Nicken. „Aber Menschen sind unterschiedlich und nicht alle machen sich immer wirklich Gedanken. Ich hab inzwischen den Eindruck, dass du ein gutes Gespür hast, was andere Leute angeht.“ Er hatte erkannt, dass Kate jemanden zum Reden gebraucht hatte, er hatte ihr bei ihrer Nervosität vor dem Wettbewerb geholfen und hatte auch sogar gute Einschätzungen abgegeben, was diverse Leute betraf, die die Gruppe kennen gelernt hatte. „Ich glaube, dass Johnson auch eine andere Seite haben muss und dass Conchua die kennt. Nach allem, was wir über ihn erfahren und wie wir ihn erlebt haben, ist er unglaublich distanziert. Aber gleichzeitig ist Conchua sofort ins Krankenhaus und hat immer ein Pokémon bei ihm gelassen. Sowas macht man mal nicht eben für jemanden, dem man sich nicht irgendwie nah fühlt“, erklärte Lou ihre Einschätzung.
"Keine Ahnung, ob ich gut darin bin", stellte Ethan mit einem Schulterzucken fest. "Aber ich bemühe mich zumindest." Und das war definitiv nicht gelogen - er versuchte diesbezüglich sein Bestes zu geben, zumindest wenn die entsprechende Person ansatzweise sympathisch war. "Ich weiß nicht...", wandte er dann ein, als Lou versuchte, Johnson zu analysieren. "Was Conchua angeht, vielleicht, aber Johnson wirkt so... abgebrüht. Ich weiß nicht, nach dem, was ihm im Tunnel passiert ist, trotzdem weitermachen zu wollen..." Er hob die Schultern und ließ den Satz unbeendet. Tatsächlich bezweifelte er, dass Johnson wirklich eine andere Seite hatte.
"Und das merkt man", bestätigte Lou dem jungen Mann. "Das ist eine gute Eigenschaft, pass ja drauf auf." Das Mädchen lächelte kurz, winkte dann aber ab. Immerhin wusste Lou, dass sie Ethan das nicht extra sagen musste, schließlich hatte er von selbst damit begonnen und die Erfolge auch gesehen. "Ich bin mir recht sicher, dass Johnson Conchua auch mag. Er hat sie das eine Mal, wo wir da waren, angelächelt. Wobei das in seinem Fall eher ein Zucken mit den Mundwinkeln war, aber ich würde das in seinem Fall gelten lassen." Bei Ethans unvollendetem Satz, musste Lou allerdings kurz seufzen. "Einerseits hat er wahrscheinlich nicht viel, was er sonst tun könnte", vermutete das Mädchen dann, wenn auch eher etwas ratlos, "und andererseits... ist es ein bisschen so ähnlich wie bei dir, oder? Wir haben ihn da unten gesehen und können eigentlich nur vermuten, was die ihm angetan haben. Allein das ist belastend, aber dir... dir ist das mit Bonaparte im Tunnel passiert und ich weiß, dass der nicht loslässt. Immerhin haben wir sogar darüber gesprochen. Und trotzdem machst du weiter, obwohl du sagen könntest, dass du nach Hause gehst. Warum?"