Jakobs Miene fror ein, als der Chief ihm recht patzig sagte, dass er sich das Salutieren sparen konnte. Dabei hatte er gehofft, mit dieser Geste den Chief ein wenig milder zu stimmen. Als er langsam seine Hand sinken ließ, kam der nächste Schock. Chief Rodriguez wollte ihre Ausweise sehen, was sehr problematisch war, da Lou keinen Ausweis hatte. Er zwang sich, nicht in ihre Richtung zu sehen. Sie steckte in ernsthafen Schwierigkeiten. Für einen Moment erwägte er, seinen Ausweis nicht vorzuzeigen, um Lou beizustehen, hielt das aber dann für eine ganz schlechte Idee, sodass der Teenager dem kleinen, breiten Chief dann doch seinen Ausweis zeigte.
Chief Rodriguez wurde Holly zunehmend unsympathischer. Nicht nur, dass er unnötig unfreundlich war, er beleidigte Chief Cordes auch noch ohne ersichtlichen Grund. Wenn er sie nicht mochte, war das eine Sache, aber einfach so abfällig über sie zu reden, zeugte nicht gerade vom Kompetenz. Zu allem Überfluss verlangte er auch noch nach den Ausweisen. Holly wusste, dass es jetzt mit ziemlicher Sicherheit Schwierigkeiten geben würde, sodass sie sich innerlich wappnete, um Lou beistehen zu können. Denn achtzehn oder nicht, ihre Begleiterin hatte hier in Litora definitiv geholfen.
Lou:
Lou spürte regelrecht wie sie blass wurde, als der Chief nach den Freiwilligen-Ausweisen fragte. Eigentlich hätte ihr bewusst sein müssen, dass ihre Lüge irgendwann auffliegen musste und auch dass es unangenehm werden würde. Allerdings hatte sie diesen Gedanken lieber immer weit von sich geschoben und nun fiel ihr dieses Verhalten gewaltig auf die Füße. Für einen Augenblick überlegte sie sogar zu lügen und einfach zu behaupten, dass sie ihren Ausweis verloren hatte, aber dem Mädchen war klar, dass auch diese Lüge sehr schnell auffliegen würde und dann hätte sie noch größere Schwierigkeiten als ohnehin schon. Außerdem würde sie Chief Cordes mit einer weiteren Lüge vermutlich in Schwierigkeiten bringen und das wollte sie der Polizistin nun wirklich nicht antun. "Ich... hab keinen", gab das Mädchen also dementsprechend zu und stellte sich auf ein gehöriges Donnerwetter ein.
Der Cheif griff nach dem Ausweis des Idioten und machte Anstalten, auch den von Holly entgegen zu nehmen, aber als Lou zugab, dass sie keinen hatte, hielt er inne. Wortlos griff er dann doch nach dem Ausweis von Holly, musterte ihn zusammen mit dem des Idioten und gab dann die beiden Ausweise zurück. Anschließend sah er zu einem der Polizisten, die ebenfalls anwesend waren. "Aker, bring sie nach draußen", sagte er dann mit einem Nicken zu Lou.
Jakob nahm seinen Freiwilligenausweis zurück. Ihm schwirrten viele Gedanken in seinem Kopf. Zum Beispiel, dass die ganze Situation unfair Lou gegenüber war oder dass Chief Rodriguez das nicht einfach so machen konnte. Aber das Problem war, dass der Chief definitiv all das Recht dazu hatte, Lou rauszuschmeißen, vor allem da im Moment viel los war. Der Teenager schüttelte dann trotzdem den Kopf und versuchte, Lou mit einem aufmunternden Lächeln zu beruhigen. "Hey, so schlimm wird es bestimmt nicht", meinte Jakob zu ihr, wobei er selber seinen Worten kaum glaubte.
Lou sah Jakob einen Moment lang irritiert an, vermutlich hatte sie nicht damit gerechnet, dass irgendwer etwas sagte. Immerhin war das Problem allen bekannt gewesen. "Äh... Passt schon", entgegnete sie dem jungen Mann, während sie noch immer reichlich verunsichert wirkte. "Nein, tut es nicht!", platzte es letztlich doch aus Holly heraus. Die junge Farmerin fand die ganze Sache absolut ungerecht! Und Lou ließ es einfach mit sich machen! "Warum sagst du nicht, dass du kein Mitläufer bist, sondern echt geholfen hast? Waren es nicht Ethan und du, die einen der Taschendiebe am Strand gestellt haben?!" "Ja, schon... Aber ich...", entgegnete das Mädchen, wobei es reichlich überfordert wirkte. "Aber was?", patzte Holly zurück. "Und warst du nicht mit da unten im Tunnel, um Captain Johnson zu helfen, während es sonst nicht mal wen interessiert hat, dass er nicht zur Arbeit gekommen ist?" Es kotzte die junge Farmerin gewaltig an, dass in der Polizei so vieles schief lief und dann wurden auch noch Leute wie Lou weggeschickt, die bereits bewiesen haben, dass sie helfen konnten. "Das stimmt schon, aber...", setzte Lou dennoch erneut an, was Holly nur dazu brachte mit den Augen zu rollen. "Aber du hast keinen Ausweis? Und deshalb kannst du nichts? Auch wenn es nichts ändert, hättest du dich wenigstens rechtfertigen können!", erwiderte die junge Farmerin. Dann hätte Chief Rodriguez wenigstens gewusst, dass er einen Fehler begangen hatte. Lou hingegen war sprachlos, wobei Holly einfach annahm, dass ihre Begleiterin nicht damit gerechnet hatte, von ihr eine Standpauke zu bekommen und nicht vom Chief.
"Aker, bring beide nach draußen", sagte Rodriguez und wirkte dabei weiterhin unfreundlich, aber völlig unbeeindruckt von Hollys Ausbruch. Nick stand derweil sichtlich hilflos daneben. "Die Polizei ist chronisch unterbesetzt und Sie schicken allen Ernstes die Handvoll Leute weg, die sich freiwillig dazu bereit erklärt hat, Ihnen überhaupt zu helfen?", ergriff Ethan letztlich das Wort. "Helfen?", hakte der Chief nach. "Wir haben Pokémon, die nach Spuren suchen - visuell, olfaktorisch und psychisch. In der Zwischenzeit läuft eine Fahndung gegen Unbekannt, die Polizei fährt Streife und hat weitere Pokémon entsandt, um nach Auffälligen Dingen Ausschau zu halten. In der Zwischenzeit katalogisieren wir sämtliche fehlenden Akten, weswegen wir die Rekruten einbestellt haben." Er sah Ethan geringschätzig an. "Ich wüsste also gerne, wie ihr der Polizei helfen wollt." "Haben Sie daran gedacht, dass es ein Rotormurf gibt?", fragte Ethan nach, wobei er die offenkundige Provokation ignorierte. "Ronald Aker, 42, verheiratet, zwei Kinder", sagte Rodriguez mit einem Nicken zu dem Polizisten neben ihm. "Bei der Polizei seit 21 Jahren. Seine Pokémon sind ein Tauboss, ein Krebutack und ein Kapoera, letzteres aktuel im Pokémon-Center." Er nickte zu Nick. "Nicholas Hughes, 19, Rekrut in seinem ersten Jahr. Entoron, Wattzapf und Jungglut. Muss ich weitermachen, oder glaubst du mir, dass ich alle meine Polizisten kenne?"
Jakob blickte zu Holly. Er war nicht der Meinung, dass ihr spontaner Ausbruch irgendetwas bewirkte. Naja, außer, dass sie auch nach draußen geschickt wurde. Soviel zum Thema sich zurück halten. Als Ethan allerdings doch mutig genug war, dem kleinen, dicken Chief die Theorie vom Rotomurf zu unterbreiten, zeigte sich dieser selbstsicher und unbeeindruckt. Jakob schüttelte den Kopf, seiner Meinung nach gab es keine andere sinnvolle Erklärung. "Bei allem Respekt", fing der Teenager dann schließlich an. "Ich bin beeindruckt, wie gut sie ihre Truppe kennen, aber dann müsste es doch ein Leichtes sein, herauszufinden, wer alles heute im Archiv war. Immerhin gab es doch keinen Einbruch, oder?"
Chief Rodriguez wollte nun auch sie rauswerfen? Dann machte es auch keinen Unterschied mehr, ob sie sich nun zurücknahm oder nicht. "Sie kennen offensichtlich die Lebensläufe von ihren Leuten, aber was beweist das schon?", erwiderte Holly dem Polizisten, wobei sie den mahnenden Blick von Lou ignorierte. Vermutlich wollte ihre Begleiterin nicht, dass sie sich noch mehr in Schwierigkeiten brachte. "Sie haben da oben hinterm Tresen jemanden sitzen, die nicht mal weiß, wie Sie aussehen. Oder wie wäre es damit: Können Sie erklären, wieso Captain Johnson, der für jeden Außenstehenden deutlich erkennbar hohen Wert auf Korrektheit legt, allein in der Nähe des Tunnels war? Und warum genau kam es niemandem komisch vor, dass der Mann sich nicht krankgemeldet oder sonstwie bescheid gesagt hat?", wollte Holly anschließend von dem Polizisten wissen. Sie glaubte nicht, dass er das konnte, denn dafür müsste man sich mit den Leuten beschäftigen und nicht irgendwelche Papiere lesen. Hinzu kam, dass er dann regelmäßig die Hintergründe von allen Leuten kontrollieren müsste. Welche Freunde sie hatten, was sie in ihrer Freizeit taten, mit wem sie telefonierten oder wem sie eine Grußkarte aus dem Urlaub geschickt hatten.
"Charline Terrell", anwtortete der Chief unbeeindruckt. "Sie ist dafür da, an diesem Schalter zu sitzen. Nicht mehr und nicht weniger. Sie wird niemals über das Dasein als Rekrut hinauskommen." Dann verdüsteret sich seine Miene. "Und was Johnson angeht - ich interessiere mich nicht für Mitarbeiter, die sich Anweisungen widersetzen. Wer sein eigenes Ding drehen will, gehört nicht zur Polizei. Er ist ohnehin die längste Zeit Captain gewesen." Sein Blick richtete sich auf den Idioten. "Im Archiv waren heute exakt vier Leute, ich habe bereits mit allen gesprochen."
Jakob war einen Moment lang verdutzt. Er konnte sich nicht erklären, wieso der kleine, dicke Chief so herzlos war. "Wie jetzt, heißt das, Sie wussten, dass Johnson in den Tunnel gehen will?", fragte der Teenager nach. Eine andere Erklärung gab es nicht, warum der Chief sonst nichts unternommen hatte. Dass Johnson gefeuert werden würde, interessierte ihn im Moment allerdings nicht. Viel interessanter fand Jakob die Aussage, dass Johnson gegen irgendwelche Anweisungen verstoßen hatte. Es gab also Anweisungen, dass der Tunnel nicht bewacht wurde? Vielleicht hatten sie mit der Vermutung, dass es ein Rotomurf gab, recht und das Rotomurf stand in diesem Moment vor ihnen. Immerhin hatte Chief Rodriguez ja auch das Treffen der Chiefs überlebt. "Naja, ist ja auch nicht so wichtig", fügte Jakob hinzu und lächelte verlegen.
So wie der Chief sprach, hätte er also wirklich Johnsons Tod in Kauf genommen. Lou gewann generell immer mehr den Eindruck, dass es dem Chief um etwas anderes ging, als er vorgab, aber sie konnte beim besten Willen nicht sagen, woran sie das eigentlich festmachte. Wichtiger war für den Moment ohnhin, dass Holly sich wieder fing, denn sonst hätten sie bald wirklich große Probleme. Eine Tatsache, die ihre Begleiterin gerne einmal zu ignorieren schien. "Komm wieder runter, Holly. Bitte", meinte das Mädchen schließlich, wobei es sich um einen möglichst versöhnlichen Tonfall bemühte. "Ich find es echt lieb von dir, dass du mich in Schutz nimmst, aber gerade geht dein Hitzkopf mit dir durch." Holly sah sie einen Moment lang an und Lou hatte durchaus den Eindruck, dass sie mit sich haderte. Das Mädchen konnte sich gut vorstellen, dass Holly noch ein paar Bemerkungen auf der Zunge lagen, aber gleichzeitig hatten sie wohl auch Lous Worte erreicht, was diese mit Erleichterung zur Kenntnis nahm. "Tut... Tut mir leid, dass ich laut geworden bin", meinte Holly schließlich, wenn auch etwas gepresst.
"Ich erstelle keine Pläne über die Freizeitaktivitäten meiner Polizisten. Allerdings gehört es für gewöhnlich nicht zu deren Aktivitäten, sich privat einen Tatort anzusehen", antwortete Rodriguez abweisend, aber gelassen. "Und in diesem Fall ist das nicht meine Angelegenheit." Er schnaubte. "Und da ihr euch offenbar ohnehin nur aufregen wollt, kann Aker euch direkt alle nach draußen begleiten." "Sie haben gesagt, wir können helfen, falls wir einen sinnvollen Vorschlag haben", wandte Ethan ein, der sich fragte, seit wann Holly derartig inkompetent und unverschämt war. Vermutlich lag es noch immer an der Begegnung mit Charly - hilfreich war es allerdings definitiv nicht. "Wir könnten noch einmal mit den Leuten reden, die heute hier gewesen sind", fuhr er fort. "Sie kennen offensichtlich die Daten ihrer Leute, aber vielleicht fällt uns irgendetwas auf, das nur Außenstehende sehen können." "Ich fürchte, ihr habt bereits mit drei der vier Leute geredet", kommentierte Rodriguez durchaus süffisant.
Jakob schüttelte den Kopf, das konnte nicht sein Ernst sein, sie jetzt alle weg zu schicken. Ethans Vorschlag war zwar gut, aber auch der brachte die Selbstsicherheit des dicken, kleinen Mannes nicht ins Wanken. "Gut, wenn ich raten dürfte also Charline, die Frau, die am Eingang sitzt und Sie selbst?" Er schüttelte kurz den Kopf. Eine Person fehlte noch, allerdings wollte Jakob nicht weiter nachfragen. Wenn der Chief der Meinung war, sie das überprüfen zu lassen, würde er ihnen schon sagen, wer der letzte war.
Die Option war zu gut, um sie verstreichen zu lassen, aber Lou musste schweren Herzens zugeben, dass ihr nichts Brauchbares einfiel. Ethans Vorschlag war wirklich gut, aber der Chief schien alles andere, aber nicht überzeugt zu sein. Das Mädchen sah kurz zu Holly, welche im Moment tatsächlich still war und soweit Lou das beurteilen konnte, schien sie zur Abwechslung mal wieder nachzudenken und nicht wieder aus der Haut zu fahren. Lou hegte langsam aber sicher die Vermutung, dass ihre Begleiterin bestimmte Dinge nicht so gut wegsteckte, wie sie behauptete. Ihr kam es so vor, als ob eher das Gegenteil der Fall war und sie würde Holly bei Gelegenheit darauf ansprechen. Jetzt sollte es zunächst reichen, wenn sie sich an der Problemlösung beteiligte.
"Sehr gut", antwortete Ethan. "Dann fehlt uns lediglich der Name der vierten Person und wir kümmern uns darum." Rodriguez sah ihn einen Moment lang verständnislos an, aber Ethan ignorierte das. Solange niemand sonst produktive Vorschläge hatte und sich der Chief nicht explizit dagegen weigerte, Ethans Vorschlag anzunehmen - solange würde Ethan daran festhalten. "Unser Hausmeister, Norton", sagte Rodriguez letztlich. "Das heißt, wir haben die Erlaubnis, mit den vier Personen zu reden", schloss Ethan und sah zu den anderen. "Teilen wir uns auf?"