Das war eindeutig unerwartet, aber definitiv nicht unangenehm, so viel musste Lou zugeben. Sie selber hielt sich zunächst zurück, so wie sie es meistens tat, in der Hoffnung, dass es nicht auffiel, dass sie eigentlich sehr unoffiziell dort war. "Das ist es definitiv", meinte Holly auf Jakobs Aussage hin. "Wir sind die Freiwilligen und sind hier, weil wir hoffen, dass Sie uns weiterhelfen können."
"Die Freiwilligen?", wiederholte Baker mit einem Anflug von Skepsis. "Dann würde ich gerne die Ausweise sehen." Ethan gab ihm seinen Freiwilligenausweis, den der Captain kurz begutachtete und ihn dann Ethan zurückgab. "Alle Ausweise", fügte Baker dann hinzu und musterte die anderen prüfend. Ethan war klar, dass das ein Problem werden konnte, aber er hatte auch kein nennenswertes Argument, um diese Inspektion zu verhindern. "Johnson hat uns übrigens an Sie verwiesen", fügte Ethan in einem doch eher aussichtslosen Versuch hinzu. Die Bemerkung schien den Captain kurz aufhorchen zu lassen. "Wir sollten uns gleich in Ruhe unterhalten", entschied Baker, sah dann aber wieder abwartend zu den anderen.
"In Ruhe klingt gut", meinte Jakob dann und sah dann kurz zu den beiden Frauen. Ihm war klar, dass es für Lou Probleme geben dürfte, aber er hatte keine richtige Idee, wie er ihr jetzt helfen konnte. Schließlich zog er seinen Ausweis hervor, um ihn an den korrekten Captain zu übergeben.
Lou unterdrückte ein Seufzen, während Holly kurz in ihrer Tasche kramte und dem Captain schließlich ihren eigenen Ausweis reichte. Die Situation war unangenehm, aber es half nichts. Sie würde Captain Baker die Wahrheit sagen müssen. "Ich habe keinen", gab Lou letztlich zu. "Ich bin nicht alt genug und daher einfach so immer mit den Freiwilligen mitgegangen."
Baker sah Lou sichtlich prüfend an und Ethan konnte beim besten Willen nicht einschätzen, wie der Captain auf diese Information reagieren würde. Halb rechnete Ethan damit, dass Baker Lou wegschicken würde, aber bevor der Captain dazu kam, tauchte aus einer weiteren Tür ein zweiter Polizist auf, der deutlich jünger war und deutlich weniger Sterne auf seiner Uniform hatte. "Ich habe die Akte gefunden, Captain", verkündete er und hielt Baker eine blaue Mappe hin. "Danke", erwiderte der Captain, nahm die Akte entgegen und wandte sich an den jungen Mann. "Ich werde jetzt erst einmal nicht erreichbar sein, sollte jemand anrufen, vereinbaren Sie einen Rückruf." "Jawohl, Sir", bestätigte dieser und es hätte Ethan nicht einmal überrascht, wenn er salutiert hätte. Baker nickte und sah wieder zu den Freiwilligen. "Kommen Sie mit." Er wandte sich einer Treppe zu, die nach oben führte und schien zumindest für den Moment nichts weiter zu Lous Status sagen zu wollen. Im oberen Stockwerk führte er sie in sein Büro, das nur unwesentlich größer war als das von Watanabe, dafür aber alles andere als geordnet wirkte. Der Schreibtisch war mit irgendwelchen Aufzeichnungen und Akten übersät und neben diversen, leeren Wasserflaschen fanden sich außerdem einige Verpackungen von geliefertem Essen in dem Raum. Zumindest die vier Besucherstühle waren frei, sodass Ethan Platz nahm, als sich der Captain hinter seinen Schreibtisch gesetzt hatte. Die Akte, die er unten erhalten hatte, warf er auf einen Stapel mit anderen Akten. "Raubüberfall", kommentierte er dann, vermutlich weil er Ethans skeptischen Blick bemerkte hatte. "Was kann ich für Sie tun? Oder besser - was kann ich für Johnson tun?"
Jakob war erleichtert, dass Captain Baker nichts weiter zu Lous Anwesenheit sagte, sah dann aber sehr irritiert zu dem Aktenstapel in seinem Büro. Er hob eine Augenbraue und fragte sich, ob der Captain vorhatte, das ales durchzuarbeiten oder ob er schlichtweg einen Teil des Archivs in sein Büro zur Sicherheit ausgelagert hatte. "Davon gibt es in letzter Zeit zu viele", meinte Jakob ein wenig reserviert auf Bakers Aussage und sah den Captain dann an. "Die kurze Variante ist: uns etwas zu tun zu geben, während wir hier sind." Er sah erneut zu den Aktenstapeln und war sich sicher, dass Baker bestimmt etwas für sie finden würde.
Lou war überrascht davon, dass Captain Baker nichts weiter dazu sagte, dass sie offiziell keine Freiwillige war. Allerdings würde sie sich auch nicht darüber beschweren. "Das ist aber auch die sehr kurze Variante", kommentierte Holly Jakobs Antwort. "Captain Johnson war in Litora für uns zuständig. Und auch nachdem er... überfallen wurde, haben wir uns bei ihm gemeldet", erklärte Lou, die dabei einige unschöne Erinnerungen zurückdrängen musste. "Als dann klar wurde, dass wir nach Montu gehen, haben wir ihn gefragt, an wen wir uns hier wenden können. Dabei fiel Ihr Name."
Baker seufzte schwer. "Sie sind nicht hier, um meine Akten für mich zu bearbeiten", sagte er mit einem Kopfschütteln. "Vor allem frage ich mich, wie Sie von Johnson geschickt werden konnten, obwohl Ihre Versetzung hierher ganz eindeutig von Rodriguez ausging." Ethan unterdrückte seinerseits ein Seufzen. "Johnson und Cordes haben uns im Endeffekt hierher geschickt", erklärte er dann. "Rodriguez haben wir nur... darum gebeten, uns hierher zu versetzen." "Gebeten", wiederholte Baker und Ethan war sich sehr sicher, dass der Captain mehr dahinter vermutete. "Was hat Cordes damit zu tun?" Bevor Ethan allerdings zu einer Antwort kam, fiel ohne Vorwarnung einer der Aktenstapel auf dem Boden des Zimmers um, sodass Ethan halb zusammenzuckte. Hinter dem Stapel kam ein durchaus gut beleibtes Fukano zum Vorschein, das herzhaft gähnte, nur um sich dann umzudrehen und weiter zu schlafen.
Unwillkürlich zuckte Jakob zusammen, als der Aktenstapel umfiel, doch dann sah er das Fukano und er konnte nicht anders als zu lächeln. Der Teenager schüttelte den Kopf und fand es faszinierend, wie das Fukano so eingebaut in die Akten schlief. Seine Aufmerksamkeit war auf jeden Fall für kurze Zeit nicht beim Captain, sodass er den Kopf schüttelte und sich wieder dem Gespräch zuwandte. "Verzeihung... ja, ursprünglich haben wir unsere Reise in Inito angefangen und haben uns dort bei Chief Cordes als Freiwillige gemeldet."
Auch die beiden Frauen zuckten kurz zusammen, als sich die Akte auf einmal verselbständigte. Holly warf dem Fukano einen kurzen Blick zu und verkniff sich die Bemerkung, dass es nicht gerade wie ein Polizei-Pokémon wirkte. "Chief Cordes möchte über alles informiert werden, was wir so tun. Sollte etwas sein, fällt es letztlich auf sie zurück, weil wir, wie Jakob gerade schon meinte, ja aus Inito kommen", erklärte Holly dem Captain dann. "Sie hat uns ursprünglich nach Litora geschickt, wo wir jetzt ungefähr eine Woche waren", fügte Lou erklärend hinzu, weil sie das für unverfängliche Informationen hielt.
Baker wirkte auf Ethan höchstens sehr bedingt überzeugt - wenn überhaupt. Er machte vielmehr den Eindruck, als wäre er auch weiterhin skeptisch. "Lassen Sie es mich so formulieren", ergriff Ethan erneut das Wort, "Cordes hat uns nicht ohne Grund geschickt." "Wenn ich das zusammenfassen müsste", erwiderte der Captain, "dann sieht es für mich folgendermaßen aus." Baker machte eine Kunstpause. "Sie haben sich in Inito freiwillig gemeldet, vermutlich hing das Ganze mit dem Tunnel nach Montu zusammen. In Montu haben Sie mit Johnson kooperiert, der kompetent und durchaus skrupellos ist, was seine Ziele angeht. In ebendieser Zeit wurde letztlich auch der Tunnel demoliert. Das heißt für mich, dass Sie damit beschäftigt sind, gemeinsam mit Cordes folgende Dinge zu tun: Die endgültige Übernahme der Polizei zu verhindern, die Untätigkeit der korrupten Chiefs zu beenden und die gestohlenen Pokémon ausfindig zu machen. Und um hier in Montu nicht gänzlich inoffiziel zu arbeiten, sondern Polizeiressourcen nutzen zu können, haben Sie Rodriguez dazu gebracht, Sie hierher zu versetzen. Ich würde vermuten, Sie haben ihn bestochen." Baker setzte ein Lächeln auf und lehnte sich auf seinem Stuhl zurück. "Trifft es das in etwa?" Ethan starrte den Captain lediglich an. Eigentlich hatten sie bisher nur Andeutungen gemacht, das bedeutete, dass er entweder eine andere Informationsquelle haben musste oder aber, dass seine Intelligenz im Gegensatz zu seinem Äußeren alles andere als durchschnittlich war.
Jakob blinzelte Captain Baker ein wenig fassungslos an. Bis auf die feineren Details hatte er gerade aus den paar Informationsstücken, die sie ihm gegeben hatten, alles richtig geschlussfolgert. Entweder das oder er hatte schon vorher über ihre Aktivitäten bescheid gewusst und entsprechende Nachforschungen angestellt. Eine Weile sah er den Captain sprachlos an. So wie der Polizist das formuliert hatte, waren sie relativ dreist gewesen. Jakob konnte dem nicht einmal widersprechen, auch wenn er gerne gewollt hätte. "Das... das...", Jakob räusperte sich kurz, sagte aber nichts weiter.
Holly war sprachlos. Sprachlos und beeindruckt. Der Captain brachte es ziemlich genau auf den Punkt, wenn man davon absah, das die Gruppe in manche Dinge mehr involviert war, als in andere. "Okay... wow...", entwich es Lou. Sie hielt sich selbst für jemanden, der Leute relativ gut lesen konnte, aber Captain Baker stellte sie definitiv mehr als nur ein wenig in den Schatten. Ihr fehlten ebenfalls die Worte, da unterschied sie sich nicht von den anderen. Allerdings war das Mädchen mehr als froh, dass Johnson ihnen den Captain empfohlen hatte, denn sonst hätte sie jetzt ehrlich Angst, dass sie in Schwierigkeiten steckten.
"Ich nehme das als Bestätigung", kommentierte Baker die vermutlich recht eindeutigen Gesichtsausdrücke. Ethan zögerte einen Moment, immerhin mussten sie darauf vertrauen, dass Johnsons Einschätzung bezüglich Baker stimmte - wenn nicht, hatten sie spätestens jetzt ein gewaltiges Problem. "Ja", stimmte er letztlich zu, woraufhin der Captain nickte. "Was haben Sie in Montu vor?", hakte Baker dann direkt nach. Ethan seufzte. "Woher wissen wir, dass wir Ihnen wirklich noch mehr erzählen wollen?", fragte er dann zugegebenermaßen direkt. "Dem entnehme ich, dass Johnsons Vorschlag alleine nicht ausreicht", merkte der Captain an. "Wie stellen Sie sich einen Beweis vor?"
Jakob sah ein wenig verlegen auf den Schreibtisch und schüttelte den Kopf. Ehrlich gesagt fiel ihm auch nicht weiter ein, was Captain Baker tun konnte. "Ich bin mir nicht sicher", fügte Jakob hinzu, wobei er allerdings dachte, dass der Captain bereits bewiesen hatte, dass er sowieso früher oder später herausfand, was sie in Montu taten.