Holly zuckte mit den Schultern und wandte sich dann wieder den Büchern zu. Sie hatte sich nur zur Sicherheit vergewissern wollen und sah da jetzt weder ein Problem noch weiteren Diskussionsbedarf. Als Jakob seine nächste Frage stellte, stockte die junge Farmerin allerdings kurz und warf dem jungen Mann einen verwunderten Blick zu. Sie selbst hatte sich darüber keine Gedanken gemacht, auch weil sie davon ausging, dass sie als Gruppe definitiv zu unbedeutend waren, um wirklich viel Aufmerksamkeit zu erregen. Jedenfalls im Moment noch.
Cordes hielt tatsächlich inne und drehte sich zu Jakob um, wobei eine Mischung aus Irritation und Ärger auf ihrem Gesicht lag. "Wir alle?", wiederholte sie dann in einem eindeutig missbilligenden Tonfall. "Ich wäre überrascht, wenn die Leute überhaupt wüssten, dass du existierst. Wenn die sich überhaupt noch für das Labor interessieren - in meinen Augen ist selbst das unwahrscheinlich -, was werden sie dann herausfinden? Zwei namenhafte und eindeutig unbequeme Polizisten aus Montu, ein Arenaleiter, der als solcher immer ein Risiko darstellt, ein Chief, der ihnen sowieso nicht passt und eine Handvoll Teenager waren dort. Was glaubst du, für wen sie sich interessieren werden?" Der Blick des Chiefs war tödlich. "Und ganz abgesehen davon frage ich mich, woher ich andere Informationen haben sollte als du, wir waren alle im gleichen Labor - ich habe leider vergessen, vorher in einem zweiten, geheimen Labor vorbeizuschauen, das noch in Betrieb war."
Jakob zuckte zusammen und wurde ein wenig blass. Er schluckte schwer, als der Chief aufzählte, warum er eigentlich unwichtig war. Am Liebsten hätte er erwähnt, dass die Organisation sehr wohl wusste, wer er war, aber er glaubte, dass das jetzt der schlechteste Zeitpunkt war, um das Cordes auf die Nase zu binden. Natürlich wollten sie dem Chief von seiner Verbindung zu der mysteriösen Organisation erzählen, aber zu diesem Zeitpunkt würde das eher dazu führen, dass der Chief ihn ungespitzt in den Boden rammen würde. "Wenn die erst einmal herausfinden, dass eines der Pokémon dort überlebt hat, dann wird sie das sicher interessieren", meinte Jakob mit einem Schnauben und schüttelte den Kopf. "Und natürlich sind wir die unwichtigsten und die, die am wenigsten Schaden anrichten können. Wir sind aber auch von allem am angreifbarsten, wenn die wirklich herausfinden wollen, was wir dort im Labor gefunden haben. Wer wird wohl eher nachgeben? Ein ausgebildeter Polizist oder ein Teenager, für den das alles eine Nummer zu groß ist?"
"Die Überwachungssysteme waren ausgeschaltet und es kann niemand dort gewesen sein, sonst hätte Bakers Fukano das bemerkt", entgegnete Cordes. "Sie können nicht wissen, dass ein Pokémon überlebt hat - falls es denn überhaupt weiterhin überlebt." Sie schnaubte. "Und da sie das Labor offensichtlich verlassen haben, werden sie sehr genau wissen, was sich dort finden lässt, nämlich so gut wie nichts. Wenn du also wirklich glaubst, dass sie dir deshalb in einer dunklen Gasse auflauern, um dich für die drei Informationsbruchstücke zu foltern, die du eventuell irgendwie durch Zufall aufgeschnappt haben könntest, dann zweifle ich ernsthaft an deinem logischen Denkvermögen." Der Chief hielt einen kurzen Moment lang inne, dann schüttelte er den Kopf. "Ich sortiere alleine weiter", sagte sie dann in einem deutlich weniger lauten, dafür aber vielleicht noch etwas unfreundlicheren Tonfall. "Sonst bin ich morgen immer noch nicht fertig."
Jakob schüttelte den Kopf und seufzte. Das hatte er so nicht gewollt. "Es tut mir Leid... ich habe eindeutig überreagiert. Ich bin jetzt still, können wir Ihnen trotzdem jetzt weiter helfen?", fragte er sehr kleinlaut.
Während Jakob der Meinung war, sich mit Cordes anlegen zu müssen, konzentrierte sich Holly explizit darauf, ihre Aufgabe weiter zu machen. Vor allem still. Einerseits hatte sie keine Lust ebenfalls in die Schusslinie zu geraten und andererseits konnte der Chief sich wunderbar allein verteidigen, ohne dass Holly sich in diese Angelegenheit einmischen musste. Als Jakob es dann aber doch auf die Spitze trieb und Cordes nicht nur ihn, sondern auch die junge Farmerin rauswerfen wollte, konnte diese nicht mehr so tun, als ob sie das Gespräch nichts anging. Holly drehte sich zu den beiden um, unterdrückte den Impuls, Jakob eigenhändig aus dem Fenster zu werfen, und konzentrierte sich lieber auf die Polizistin. "Bitte um Entschuldigung, aber was habe ich jetzt damit zu tun, Chief?", fragte Holly dann direkt nach, wobei sie sich um einen gemäßigten, halbwegs höflichen Tonfall bemühte.
Cordes musterte die beiden einen Moment lang, dann schüttelte sie erneut mit düsterer Miene den Kopf. "Ihr solltet gehen", entschied sie dann in einem Tonfall, der keinen Widerspruch duldete.
(Holly könnte merken, dass sie zumindest nicht mehr so wütend aussieht und streng genommen auch keinen Grund angibt. Jayjay nicht.)
Jakob nickte und schluckte schwer. Wieder einmal hatte er den Bogen überspannt. Er hoffte, dass sich Holly nicht zu sehr darüber aufregen würde, immerhin war das hier eigentlich sehr wichtig. Und eigentlich dachte er, dass Cordes die Hilfe der beiden gut gebrauchen konnte, das alles alleine zu sortieren konnte mitunter die ganze Nacht dauern. "Sehr wohl, Chief", meinte der Teenager dann, als er aufstand. "Wenn Sie uns brauchen, Sie wissen, wie Sie uns erreichen können."
Holly musterte Chief Cordes irritiert, weil sie die Haltung der Polizistin auf einmal geändert hatte. Natürlich war sie noch immer mürrisch, aber das war sie immer, soweit Holly wusste, aber Cordes' eigentliche Wut war auf einmal irgendwie weg, was die junge Farmerin doch ziemlich verwunderte. Hinzu kam die seltsame Wortwahl und das Fehlen einer Erklärung. Selbst in Hollys Augen war das untypisch für die Polizistin. "Eine Antwort wäre sehr hilfreich", meinte Holly letztlich, wobei sie ihren Tonfall von zuvor beibehielt. "Weil ohne Hilfe sind Sie wirklich bis morgen beschäftigt und das ist auch nicht Sinn der Sache." Sie sollten gehen, hatte Cordes gesagt. Normalerweise war sie direkter, weshalb Holly vermutlich von der Formulierung verwirrt war. Es war als ob dem Chief irgendein Gedanke gekommen war, den er nicht mit ihnen teilte.
Cordes' Miene verdüsterte sich weiter. "Wenn ich noch einmal derartigen Mist von euch höre, werfe ich euch raus", fuhr der Chief die beiden Freiwilligen an und wandte sich wieder ihren Akten zu.
Das klang eindeutig wieder nach Cordes selbst, sodass Holly auf eine Antwort verzichtete. Die Polizistin wirkte auch nicht so, als ob sie wirklich eine erwartete, was der jungen Farmerin auch nur recht war. Sie warf Jakob noch einen missbilligenden Blick zu und wandte sich dann wieder den Büchern zu, die sie noch immer sortieren mussten.
Jakob hielt den Atem an, als Holly kurz mit Cordes redete. Er war durchaus überrascht, dass sie ihre Meinung änderte. Er nickte stumm und sah dann zu Holly. Als diese einen finsteren Blick zuwarf, zog er den Mundwinkel zur Seite. "Entschuldigung", meinte er kleinlaut, bevor er wieder die Arbeit an den Büchern aufnahm.
Jolly: Das Sortieren war etwa zur Hälfte abgeschlossen, als das Telefon des Chiefs erneut klingelte. Cordes seufzte genervt, warf einen Blick auf das Telefon und nahm den Anruf entgegen. "Ich sagte doch, dass ich mich melde", kommentierte Cordes eindeutig ohne eine Begrüßung abzuwarten. "Nein." Es folgte eine kurze Pause, in der Cordes' Gesichtsausdruck zunehmend düster wurde. "Nein, Elaine, ich..." Offensichtlich würgte ihr Gegenüber den Chief ab, der sich daraufhin sichtlich genervt mit der Hand über das Gesicht fuhr. "Wenn du etwas Neues hast, bin ich ganz Ohr, wenn nicht telefonieren wir später." Cordes warf einen prüfenden Blick auf die Akten. "Frühestens in zwei Stunden." Es folgte eine weitere Pause, in der Eukalypt irgendetwas zu erzählen schien. "Okay", bestätigte Cordes letztlich. "Ja." Der Blick des Chiefs wurde noch etwas düsterer. "Ich sagte doch: Ja." Sie schnaubte. "Bis später."
Vorsichtig sah Jakob zu Cordes, als sie am Telefonieren war. Es klang so, als ob die Professorin irgendetwas herausgefunden hätte. Er blickte dann wieder zu den Akten, die er gerade sortierte und räusperte sich dann. "Irgendwelche Neuigkeiten, die uns weiterhelfen?"
Holly fand es noch immer seltsam, wie Cordes mit ihrem Gegenüber sprach, auch wenn sie inzwischen wussten, dass es sich um die Professorin handelte. Ihre Vermutung war, dass die beiden sich einfach unglaublich lange kennen mussten, denn anders war es nicht zu erklären, dass Cordes sich einfach so ins Wort fallen ließ. Tatsächlich hätte Holly gerne nachgefragt, ob es etwas Neues gab, aber anders als Jakob hatte sie sich dagegen entschieden. Die Polizistin war zuvor sehr eindeutig gewesen und Holly unterstellte ihr erstmal, dass sie sie informieren würde, wenn es etwas Nennenswertes gab. Da Jakob das offensichtlich allerdings anders gesehen hatte, blickte die junge Farmerin kurz zwischen den beiden hin und her. Sie hoffte, dass Cordes wegen der Nachfrage nicht verärgert war und ausnahmsweise hatte auch Jakob einmal mitgedacht und einen höflichen Tonfall angeschlagen.